Interview: about the other – Filmen zwischen den Kulturen

Sandra Lenke und ich kennen uns unter anderem durch den Verein WIR GESTALTEN e.V., der sich im Berliner „Problembezirk“ Wedding für die Begegnung der Bewohner_innen einsetzt, den Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft fördert und Kinder und Jugendliche in ihrem Schul- und Lebensalltag unterstützt. Wie sich herausstellt, ist dies aber nicht der einzige Ort, an dem Sandra Begegnungen organisiert. Sie war auch maßgeblich an einem deutsch-iranischen Studienaustausch beteiligt, über den sie gemeinsam mit ihrem Partner Stephan Schöbel einen Film gemacht hat: about the other. Im Interview haben ich mit den beiden über das Begegnungsprojekt, die Entstehung des Films und die Herausforderungen eines interkulturellen Dokumentarfilms gesprochen.

© Stephan Schöber

© Stephan Schöbel

Filmlöwin: Wie kam es überhaupt zu dem deutsch-iranischen Begegnungsprojekt?

Sandra Lenke: Die Begegnung fand im Rahmen eines vom DAAD geförderten wissenschaftlichen Projekts, „Hochschuldialog mit der islamischen Welt“, statt. Zwei meiner Kolleginnen an der Universität Paderborn hatten das von längerer Hand vorbereitet, Hamideh und Anna, die auch im Film zu sehen sind. Eine islamisch-theologische Hochschule im Iran zu finden, die sich für Christen und deren Theologie interessiert, war nicht ganz leicht. Umso überraschender, dass wir dann mit so einer großen Gruppe in den Iran fahren konnten.

Wie kamt ihr auf die Idee, über die Begegnung der iranischen und deutschen Student_innen einen Film zu drehen?

Sandra Lenke: Anna und ich hatten überlegt dass es toll wäre, das Ganze irgendwie filmisch zu dokumentieren. Wir haben am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften wirklich gute interreligiöse Erfahrungen gemacht, und da kam der Gedanke, auch mal öffentlichkeitswirksam darüber zu berichten. Ich habe Stephan die Idee erzählt und er hat sich darauf eingelassen, mit der Kamera dabei zu sein. Am Anfang war eigentlich nur das Begegnungsprojekt, und wir dachten bei den Aufnahmen zuerst auch eher an einen Kurzfilm, je nachdem was das Material hergeben würde. Der eigentliche Dokumentarfilm ist erst im Nachhinein entstanden.

Hattet ihr für den Iran eine Drehgenehmigung oder musste das alles heimlich ablaufen?

Stephan Schöbel: Es hat weder eine offizielle Drehgenehmigung gegeben, noch haben wir heimlich gedreht. Sowohl auf Seiten der Gastgeber, also der Iraner, hat es ein kleines Doku-Team gegeben, als auch seitens der Besucher, also wir. Das fand alles im offiziellen Rahmen des Hochschuldialogs statt und wurde auch vorher kommuniziert. Das lief halt nicht so ab, wie man das von einer „normalen“ Fernsehdokumentation erwarten würde: feste Orte und gecastete Protagonisten mit voriger Recherche, Drehplan etc. Wir haben das vor Ort entwickelt und haben die Leute erst mal kennenlernen müssen; und jene wiederum uns.

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© Stephan Schöbel

Ihr sprecht im ersten Teil des Films, wenn die deutschen Student_innen in den Iran fahren, fast ausschließlich mit den Deutschen, kaum mit den Iraner_innen. Beim Gegenbesuch ist es etwas ausgeglichener. Woran liegt das?

Stephan Schöbel: Wir haben ziemlich bald gemerkt, dass von den Iraner_innen nur wenige bereit waren, vor laufender Kamera zu sprechen. Das kann verschiedene Gründe haben: Sprachbarrieren, fehlendes Vertrauen – wir kannten uns ja wirklich gar nicht. Es gibt im Iran auch einen anderen Umgang mit der Rede über andere Menschen in der Öffentlichkeit: Manche Interviews mit den iranischen Teilnehmer_innen haben wir nicht verwendet, weil es für deutsche Ohren nach Schönfärberei klang. Das gebietet dort aber die Höflichkeit und Gastfreundschaft, dass man nichts Kritisches oder stark Wertendes äußert, weil dies – aus meiner Sicht – nicht zum Diskursverständnis dieser Kultur gehört.

Wir haben dann überlegt, für den Film eher die Besucher_innenperspektive stark zu machen. Da kam es uns in Deutschland sehr entgegen, dass die Iraner_innen offener waren. Das kann auch an der etwas freieren Atmosphäre in Deutschland gelegen haben. Insgesamt denke ich, dass wir uns über die Zeit kennenlernen konnten und die iranischen Besucher dadurch vielleicht auch Vertrauen in unsere Motive als Filmemacher entwickelt haben. Ich habe ja nicht nur hinter der Kamera gestanden sondern war die ganze Zeit mit den Leuten unterwegs, wir haben zusammen gegessen, Abende verbracht, da waren dann auch die Interviews nicht mehr so distanziert. Ich bin ja offizieller Kursteilnehmer gewesen.

Weshalb gibt es keine Interviews mit den iranischen Dozent_innen?

Sandra Lenke: Im Iran kam fast zu jedem Vortrag ein anderer Dozent. In der kurzen Zeit konnten wir kaum näher mit jemandem ins Gespräch kommen. Die Trennung zwischen Frauen und Männern beim Essen, in der Sitzordnung usw., die am Anfang recht präsent war, kam erschwerend hinzu. In Deutschland war das schon anders, und da haben wir auch ein gutes Interview bekommen, aber thematisch passten die Beiträge leider nicht mehr in die Filmstruktur, für die wir uns letztlich entschieden haben. Die fehlenden Stimmen der iranischen Dozent_innen sind aus meiner Sicht eine Schwäche des Films, spiegeln aber genau die Situation des Anfangs wieder: Große Berührungsängste, hier v.a. von meiner Seite. Aus heutiger Sicht finde ich das vor allem deswegen sehr schade, weil ich in den Folgejahren des Projekts zu einigen Dozenten einen richtig guten Draht bekommen habe und sehr intensive Gespräche hatte. Diesen Stimmen Gehör zu geben, wäre ein wichtiges nächstes Filmprojekt.

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© Stephan Schöbel

Wird das Projekt fortgeführt? Also: Wird es mehr interreligiöse Begegnungen mit dieser oder anderen Gruppen geben?

Sandra Lenke: Das Projekt lief in dieser Dimension insgesamt drei Jahre, und in jedem Jahr gab es eine Begegnung im Gastland und eine im Heimatland. Der Film zeigt nur den Projektbeginn im ersten Jahr. Im zweiten Jahr waren wir mit einer Gruppe im Libanon, und im dritten hatten wir eine libanesisch-iranisch-deutsche Begegnung. Es sind wirklich gute Beziehungen entstanden die v.a. informell weiterhin gepflegt werden. Auf wissenschaftlicher Ebene ist ein Forschungsverbund entstanden, der an gemeinsamen Lehrmaterialien arbeitet. Und es gibt heute die Möglichkeit des Gastaufenthalts für Studierende und Doktoranden im jeweils anderen Land. Vahid, einer unserer Protagonisten aus Qom hat nach dem ersten Screening zu mir gesagt: Wow, wir haben doch echt was geschafft. Wenn es dann mal alles anders sein wird, werden wir zurückblicken und sagen: Guck mal, damals haben wir angefangen…“ An diese Zuversicht der jungen Leute im Iran denke ich oft.

Wird der Film auch im Iran gezeigt?

Stephan Schöbel: Wir haben den Film mit einer iranischen Gruppe hier in Deutschland angesehen. Das war spannend und kritisch. Die Iraner_innen haben sich mit dem was über sie gezeigt wurde schon identifizieren können, aber aus iranischer Sicht würde man über ein solches Projekt anders berichten. Wir haben den Film ja als deutsches Team für eine deutsche bzw. europäische Öffentlichkeit gemacht, da hat er denke ich auch seinen Platz. Eine öffentliche Vorführung im Iran haben wir bisher noch nicht organisiert. Aber zur Premiere in Paderborn waren zwei der iranischen Protagonisten auf dem Podium. Das war richtig toll!

Und wie bzw. wo kann man about the other sehen?

Sandra Lenke: Der Film wird zum Beispiel am 28. Mai 2016 auf dem Katholikentag in Leipzig gezeigt. Und er ist als DVD unter www.abouttheother.net erhältlich.

Sophie Charlotte Rieger
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