Venedig 2013: Ukraine Is Not A Brothel

Wir haben sie alle schon mal gesehen, im Internet oder im Fernsehen. Junge ukrainische Frauen*, die barbusig gegen Sexismus und Unterdrückung demonstrieren. Den nackten weiblichen* Körper als Waffe gegen Prostitution einzusetzen, erschient paradox. Und das ist es auch. Kitty Greens Dokumentarfilm Ukraine Is Not A Brothel ist kein Werbespot für die feministische Protestorganisation Femen, sondern viel mehr eine Demaskierung, die mehr und mehr Widersprüche aufdeckt und die Aktivitäten der Gruppierung durchaus in ein zweifelhaftes Licht rückt.

© Cinephil

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Die Aktivistinnen wirken so gar nicht wie wir uns kämpferische Feministinnen vorstellen. Sie sind gutaussehend, stets stark geschminkt und aufreizend gekleidet. Ihr Körper ist ihr Kapital. Eine von ihnen arbeitet nachts sogar als Stripperin. Wenn Kitty Green sie nach ihrer Motivation fragt, antworten die Mädchen* eher formelhaft. Auf wohl durchdachte Überlegungen zur Rolle der Frau* in der ukrainischen Gesellschaft oder Bezüge zu feministischen Vordenkerinnen warten wir vergebens. Es scheint viel mehr, als hätten Inna und Sasha in Femen einen lang vermissten Lebenssinn gefunden, etwas wofür es sich zu kämpfen lohnt. Der Mut mit dem sie sich in die Konfrontation mit der Polizei begeben, wohl wissend, dass blaue Flecken das kleinste zu erwartende Übel sind, ist bewundernswert. Die Quelle dieses Mutes jedoch bleibt ein Rätsel. Aus ihren Äußerungen spricht keine Verbitterung über Prostitution oder Patriarchat, kein Frust, dem sie durch ihre Aktionen Ausdruck verleihen. Alles wirkt seltsam einstudiert.

Zunächst ist nicht ganz klar, ob Regisseurin Kitty Green unseren Respekt für ihre Protagonistinnen einfordern will oder ob sie die Mädchen* bewusst als adrette Puppen darstellt. Mit der Offenlegung der Hintergründe schließlich erhält diese Darstellungsweise eine Berechtigung. Die Femen-Aktivistinnen sind tatsächlich Puppen oder Spielfiguren, die von einem männlichen* Oberhaupt dirigiert und inszeniert werden. „Ich bin der Vater des neuen Feminismus“, spricht Victor und findet diese Aussage ebenso wenig paradox wie die Prämisse der gesamten Protestbewegung. Kitty Green macht mit ihrer Inszenierung keinen Hehl daraus, dass sie für diesen männlichen* Kopf der Organisation wenig Sympathie empfindet. Wir sollen über Victor lachen. Seine Äußerungen wirken eher wie ein Ausdruck narzisstischen Größenwahns als wie die Überlegungen eines politischen Akteurs. Dabei drohen wir jedoch zu vergessen, dass zu diesem Spiel zwei Parteien gehören.

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Das Erschreckende an Ukraine Is Not A Brothel ist nicht die Tatsache, dass die feministische Organisation von einem Mann* geleitet wird, sondern die Demut seiner Untergebenen. Ohne Victor, so sagen Inna und Sasha, würde es diesen Protest nicht geben. Alleine wären sie dazu nicht in der Lage. Wir wollen sie schütteln und ihnen ins Gesicht schreien, dass es doch beim Feminismus genau darum geht: Sich von patriarchaler Autorität zu verabschieden und Dinge selbst in die Hand zu nehmen, weil wir als Frauen* über ebenso viel Kraft und Intelligenz verfügen wie die Männer*, die uns dominieren. Natürlich ist es aber ebenso falsch, die Mädchen* für ihre devote Einstellung zu verurteilen. Sie befinden sich ganz offensichtlich in einem Abhängigkeitsverhältnis, aus dem sie sich nur schwer befreien können. Die Vermutung liegt nahe, dass Chef Victor die oft prekäre finanzielle Lage seiner Mädchen* und ihre Orientierungslosigkeit ausnutzt, um sie für seine Sache zu gewinnen. Immerhin beginnen auch Inna und Sasha am Ende des Films an den Strukturen der Organisation zu zweifeln. Es reicht ihnen nicht mehr, die Spielfiguren eines Patriarchen zu sein.

Es ist ein bisschen traurig, dass Kitty Green hier eine feministische Organisation demaskiert. Nicht nur in der Ukraine, auch in Deutschland hat die Bewegung noch immer einen schlechten Ruf. Und Ukraine Is Not A Brothel wird daran nichts ändern, sondern im Gegenteil negative Vorurteile bestätigen.

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Dann aber macht der Film auch deutlich, wie drängend es ist, patriarchale Struktur aufzubrechen, selbst in einer feministischen Organisation. Ob Femen dazu wirklich einen Beitrag leistet, bleibt zweifelhaft. Die hohe mediale Aufmerksamkeit, die den Aktivistinnen zuteil wird, scheint sich weniger auf ihre politischen Botschaften als auf ihre Brüste zu konzentrieren. Und auch Kitty Green tappt immer wieder in die Falle, die nackten oder leicht bekleideten Körper ihrer Protagonistinnen zu stark zu betonen. Auf diese Weise können wir trotz ihres großen Mutes, für die Aktivistinnen nur wenig Respekt entwickeln. Die dynamische Inszenierung des Films, die Discomusik und die Aufmerksamkeit haschenden Aufnahmen eskalierender Proteste unterhalten uns prächtig, aber erzählen sie uns auch etwas über den modernen Feminismus? Wohl kaum.

Sophie Charlotte Rieger
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