Petting Zoo

Noch immer werden in den USA viele minderjährige Frauen* ungewollt schwanger, weit mehr als in anderen Ländern der westlichen Welt. Woran aber liegt das? Könnte es vielleicht einen Zusammenhang zwischen Teenagerschwangerschaften und fehlender Sexualaufklärung geben? An vielen US-amerikanischen Schulen wird bis heute Abstinenz gepredigt anstatt in einem sexualpädagogischen Rahmen auf die multiplen Möglichkeiten der Empfängnisverhütung hinzuweisen. Und auch Abtreibung ist nach wie vor ein heißes, nein, ein glühendes Eisen.

© Peripher

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Die texanische Stadt San Antonio, die 2011 landesweit die höchste Rate an minderjährigen Schwangeren verzeichnete, ist der Spielort von Micah Magees Coming of Age Drama Petting Zoo, in dem es um genau dieses Thema geht: Heldin Layla (Davon Keller) ist Einserschülerin und hat mit Hilfe eines Stipendiums die Chance, ihre prekären Lebensverhältnisse im White Trash Milieu der US-Südstaaten für immer hinter sich zu lassen. Doch kurz vor ihrem Abschluss stellt Layla fest, dass sie von ihrem dauerbekifften Exfreund, dem Schulabbrecher Danny (Kiowa Tucker), ein Kind erwartet. Ihre Eltern weigern sich, einer Abtreibung zuzustimmen und zwingen Layla damit, den Traum von höherer Bildung vorerst aufzugeben. Aber das ist ja auch gar nicht so schlimm, meint der Vater, Layla könne doch einfach wieder in ihr altes Zimmer ziehen.

Warum Layla aus diesem Zimmer ausgezogen ist, erfahren wir übrigens nicht. Magee liefert kaum Hintergrundinformationen über ihre Figuren und verlässt sich ganz auf ihre Bilder. Nichts an ihrem Spielfilm scheint auf das Publikum ausgerichtet zu sein. Kein Dialog, kein Ereignis zielt auf die Provokation einer Emotion oder Erklärung ab. Zusammen mit den natürlichen Farben, dem authentischen Schauspiel und der Handkamera wirkt Petting Zoo, als habe Micah Magee hier als eine teilnehmende Beobachterin lediglich das Leben einer jungen Frau dokumentarisch begleitet. Denn obwohl die Filmemacherin niemals inszenatorisch einzugreifen scheint, erschafft sie eine große Nähe zur Hauptfigur. Die Intensität einzelner Momente entwickelt sich somit völlig natürlich. Wenn Petting Zoo uns zu Tränen rührt, dann nicht durch konstruiertes Drama, sondern durch eine tatsächlich ergreifende Situation.

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Der Verzicht auf künstliche Dramatik unterstreicht auch den Respekt der Regisseurin für ihre Figur. Magee will keine Urteile fällen – weder über Layla, noch über einen der vielen Menschen, meist Männer übrigens, die ihr Steine in den Weg legen. Magee will einfach nur zeigen, was es für junge Frauen* bedeutet, ungewollt ein Kind zu erwarten, wie stark ein solches Ereignis ihre Zukunft beeinträchtigt, wie wenig Möglichkeiten sie haben, selbst über ihr Leben zu bestimmen.

Es ist bedrückend, wie die augenscheinlich kluge und lebenstüchtige Layla ausgerechnet an ihren Eltern scheitert. Bedrückend auch, dass es die Person ohne Gebärmutter ist, ihr Vater nämlich, der ihr die Entscheidungsgewalt über ihr Leben und ihren Körper entreißt. Immer wieder trifft Layla auf Männer*, die ungefragt ihren Lebensweg bestimmen. Da ist der Lehrer, der meint, ein Kind sei gleichbedeutend mit dem Abschied an eine höhere Bildung – und zwar für immer. Da sind ihre Arbeitgeber, die niemals Verständnis für ihre (emotionale) Situation aufbringen. Da ist Dannys Vater, der Layla einen schriftlichen Verzicht auf jegliche Ansprüche dem Kindsvater gegenüber abverlangt. Und da ist ihr Onkel, der mit dem Einbruch in ihr Haus die Grenzüberschreitungen der anderen auf eine sichtbare Ebene hebt.

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All das erzählt Micah Magee mit einer fast irritierenden Ruhe. Auch wenn der Verzicht auf Tränendrüsenattacken, Leindwandeskalationen und psychische Abgründe ihrem Film Authentizität verleiht, schwächt der fehlende Kampf Laylas zugleich auch ihre Rolle in der Geschichte. Warum lehnt sie sich nicht auf? Warum wehrt sie sich nicht? Warum sucht sie nicht nach Möglichkeiten, nach Alternativen?

Das Schicksal der Heldin droht das Publikum zu entmutigen. „Wenn Du erst einmal schwanger bist, ist es für alles zu spät“, scheint der Film zu sagen. Und so überzeugend sie ihn auch erzählt, mit ihrem Schluss macht es sich Magee dann auch deutlich zu einfach. Den Ausweg aus ihrer Situation findet Layla nicht durch eigene Anstrengung oder zumindest Initiative, sondern ausschließlich durch Glück im Unglück. Die Botschaft, die Petting Zoo damit an Mädchen* in einer vergleichbaren Situation sendet, ist äußerst zweifelhaft.

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Das ist insbesondere deshalb schade, weil Petting Zoo sichtbar die Handschrift eines Menschen trägt, der als weiblich* sozialisiertes Wesen in einer patriarchalen Gesellschaft aufgewachsen ist. Es sind die leisen, kaum hörbaren Zwischentöne, die das weibliche* Publikum souverän abholen und zahlreiche Anknüpfungspunkte bieten können. Dieser Film hätte von einem Mann* auf diese Weise nicht erzählt, nicht inszeniert werden können. Denn wie wir es auch drehen und wenden: Kein männlicher* Teenager war jemals der Überforderung ausgeliefert, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, zur Übernahme der Verantwortung für das eigene Leben, auch noch über ein anderes, ein ungeborenes Leben entscheiden zu müssen. Laylas Situation ist noch immer Menschen mit Gebärmutter vorbehalten. Natürlich können wir nichts daran ändern, dass manche Menschen einen Uterus haben und andere nicht. Was wir aber ändern können sind die in Petting Zoo ausschließlich durch Männer* repräsentierten Stimmen: Wenn Layla selbst über ihren Körper entscheiden dürfte, wenn Rahmenbedingungen geschafft würden, in denen sich Ausbildung, Arbeit und Familie problemlos vereinbaren ließen, wenn andere Menschen Laylas Grenzen akzeptieren und sie als Person respektieren würden, dann wäre die Geschichte einer Teenagerschwangerschaft überhaupt keinen Film mehr wert. Dann wäre Laylas Situation genau so undramatisch, wie Micah Magee sie hier inszeniert. Und wer weiß, vielleicht wollte sie genau das damit sagen!

Kinostart: 19. Mai 2016

PETTING ZOO (2015) by Micah Magee [trailer] from Richard Lormand on Vimeo.

Sophie Charlotte Rieger
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