#NichtMeinDiskurs – Das letzte Wort

Vor drei Wochen schrieb ich eine Replik zu einem Text von Rüdiger Suchsland über den Weinstein-Skandal, der auf artechock veröffentlicht worden war. In meiner Antwort legte ich dezidiert die sexistischen und misogynen Rhetoriken Suchslands dar und formulierte einen allgemeinen Aufruf an Filmkritik und -journalismus, mit der Öffentlichkeit der eigenen Meinungen verantwortungsvoller umzugehen.

Ich hatte gehofft, mit diesem Aufschrei insbesondere die Vertreter_innen der Filmkritik aus ihrem Elfenbeinturm heraus und in die Begegnung und Auseinandersetzung mit ihrer Gesellschaft zu locken. Ich hatte gehofft, medienbeobachtende Schreiberlinge würden das Thema aufgreifen und Gedanken über die Legitimität von Sexismus und Misogynie in Filmkritik und -journalismus zu Papier oder Bildschirm bringen. Ich hatte gehofft, feministische Organe würden ihren Blick auf die Filmkritik schweifen lassen und sehen, dass hier eine wichtige Baustelle bislang vernachlässigt wurde.

Doch nichts davon geschah. Stattdessen erhielt ich eine private Email von Rüdiger Suchsland, in der er mir unter anderem den Vorschlag unterbreitete, unsere kleine Debatte öffentlich weiterzuführen. Noch bevor ich dazu eindeutig Stellung beziehen konnte, veröffentlichte er allerdings eine Replik zur Replik, in der die Fortführung des Dialogs wie beschlossene Sache klang. Dies geschah über meinen Kopf hinweg und war zu keinem Zeitpunkt in meinem Sinne. Auch heute nicht.

Etwa zwei Wochen später schrieb dann Dunja Bialas, Vorsitzende von artechock e.v. und somit maßgeblich verantwortlich für die Veröffentlichung von Suchslands Artikel, eine Stellungnahme – nicht nur zum Suchsland-Artikel und meiner Reaktion darauf, sondern auch zur Weinstein-Debatte allgemein. Damit bleibt sie di_er einzige Kolleg_in, di_er bereit war, sich auf diesen Diskurs einzulassen.

Aber auch sie missversteht mein Anliegen zum Teil, wenn sie darauf hinweist, dass Rüdiger Suchsland nun das letzte Wort gehabt und ich mich somit in eine unterlegene Position begeben hätte. Mit dieser Deutung der Situation ist sie nicht alleine. Vielfach und aus unterschiedlichsten Richtungen wurde ich gebeten, auf die Antwort von Suchsland zu reagieren, die Debatte fortzuführen oder eben sogar öffentlich auf einem Podium auszutragen. Und so möchte ich hiermit ein für allemal klarstellen: Das werde ich nicht tun!

Und meine Gründe sind wie folgt:

1. Rüdiger Suchsland und ich führen nicht denselben Diskurs.

Rüdiger Suchsland, der sich selbstbewusst als politisch unkorrekt inszeniert, hat Lust an der Provokation. Er stellt sich als intellektueller Bad Boy dar, der in schlauen Worten allem und jedem auf die Füße tritt und das einfach nur deshalb darf, weil er jene schlauen Worte zu benutzen weiß. Denn schlaue Worte aneinanderzureihen ist Kunst und Kunst darf alles. Künstlerisches Genie berechtigt zur rücksichtslosen Unverschämtheit, so die Logik.

Das kann Mann so sehen, muss Mann aber nicht. Denn völlig abgesehen davon, ob wir Herrn Suchsland das Prädikat des Künstlers verleihen wollen, ist er zweifelsohne auch Publizist. Und als solcher hat er eine Verantwortung, der er nicht gerecht wird und an die ich in meiner Replik erinnert habe. Denn vollkommen egal, ob der private Rüdiger Suchsland Feminist ist oder nicht: Sein publizistisches Alter Ego ist, wie ich detailliert dargelegt habe, ein misogyner Sexist!

Es ist nicht davon auszugehen, dass jede_r in der Lage ist, die von Filmwissen strotzenden Intertextualitäten so zu entschlüsseln, so dass die sexistischen Subtexte geschwächt würden. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass das jede_r möchte. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, dass es ein breites Publikum gibt, das sich bei derlei Aussagen fröhlich auf die Schenkel klopft, weil ihnen endlich einmal jemand aus dem frauen*verachtenden oder doch zumindest vom Feminismus zutiefst genervten Herzen spricht.

In den USA kann ein Mann* Präsident werden, während er sich selbst dafür feiert, Frauen* ungefragt an die Muschi zu grabschen. Darüber regen wir uns hierzulande äußerst gerne auf. Aber hier ist es möglich, sich als Journalist oder Filmkritiker selbstbewusst als misogyner Sexist zu inszenieren, ohne einen Karriereknick fürchten zu müssen.

Nichts im zweiten Text von Rüdiger Suchsland deutet daraufhin, dass er sich mit meiner Kritik tatsächlich auseinandersetzen möchte, denn auch die Replik zur Replik nährt noch immer Rape Culture Mythen, Sexismen und misogyne Strukturen. Asia Argento wird in gleich mehreren Absätzen wieder nach feinster Täter-Opfer-Verdrehungs-Manier diskreditiert. Aber: „Provokation ist für diesen Blog wichtiger, als Political Correctness. Aber keineswegs Provokation um der Provokation willen. Sondern es geht darum, das Ungesagte zum Sprechen zu bringen, Minderheitsmeinungen und dissidente Positionen zu Gehör zu bringen, nachzufragen, wo alle sich einig sind.“ Diese Passage zeigt zweifelsfrei, dass Rüdiger Suchsland nicht bereit ist, sich auf den von mir angestoßenen Diskurs einzulassen und dass er den Unterschied zwischen „political correctness“ und gesellschaftlicher Verantwortung weder kennt noch kennen will.

Davon abgesehen kann ich in der Replik zur Replik keine Spur von dem Respekt erkennen, den Rüdiger Suchsland explizit von mir einfordert. Die wenigen Phrasen der Anerkennung wirken ähnlich aufgesetzt wie sein leicht kritischer Kommentar zu Weinstein im vorhergehenden Text, den er mit den Worten abrundete: „das muss man ja heute besser dazu sagen“. Die Replik zur Replik enthält Beleidigungen meiner beruflichen Person: Meine feministischen Argumente werden als Gedankenpolizei abgetan, der Inhalt meiner Replik als mitunter „blöd“. Meine Argumente sind für Rüdiger Suchsland schlicht und einfach keine, weshalb er sie auch nicht aufgreifen oder gar widerlegen muss. Das ist natürlich eine höchst bequeme Position, aber keine Ebene, auf der ich irgendeine Debatte führen will – weder öffentlich, noch privat.

Denn eines ist klar: Mir geht es um einen feministischen Diskurs, um einen verantwortungsvollen Umgang mit Sprache und Öffentlichkeit, der für alle Journalist_innen gilt – auch für Filmkritiker_innen. Rüdiger Suchsland aber geht es vor allem um sein Bad Boy Image, das er durch diskriminierende Texte auf dem Rücken jener Menschen erlangt, die weniger privilegiert sind als er. Vielleicht geht es ihm auch um so etwas Abstraktes wie die Zukunft des Kinos oder, etwas lebensnäher, die Direktion der Berlinale. Mir aber geht es nicht um die Würde der Kunst, sondern um die des Menschen!

2. Dies ist kein Zweikampf zwischen zwei Filmkritiker_innen.

Bei meiner Replik ging es mir nicht um Rüdiger Suchsland als Einzelperson, so wie es auch nicht um Harvey Weinstein als Einzelperson ging oder geht. Ich spreche von struktureller Macht und Diskriminierung, die unsere Gesellschaft als Ganze kennzeichnen und sich somit natürlich auch in ihren kulturellen Erzeugnissen widerspiegeln, demnach auch in der Filmkritik. Mir geht es darum, einen Diskurs darüber anzustoßen, dass deshalb auch Filmkritik und –journalismus in der Verantwortung stehen, gendersensibel zu arbeiten. Und weil Sexismus diskriminierend und menschenfeindlich ist, hat mein Plädoyer auch nichts mit Zensur, sondern mit einem Appell an gesellschaftliche Verantwortung zu tun.

Zu kritisieren ist also vor allem, dass Texte wie „Mein Freund Harvey“ unkommentiert erscheinen – und das auf mehreren Webseiten!

3. Ich habe alles gesagt.

Es gibt für mich keinen Grund, auf Rüdiger Suchslands Text detailliert einzugehen, da ich mich nur wiederholen würde. Denn noch einmal: Mir geht es nicht um Rüdiger Suchsland als Person, nicht um seine private und nicht um seine öffentliche, und nicht einmal um den konkreten Text. Denn weder dieser Text noch Rüdiger Suchsland sind kontextlose Einzelfälle! Mir geht es um das Phänomen dieses Artikels, seine Öffentlichkeit und Wirkung, die ausbleibende Kritik daran. Beispielhaft habe ich anhand des Texts „Mein Freund Harvey“ gezeigt, wie filmjournalistische oder von mir aus auch filmkritische Texte Rape Culture Mythen und Anti-Feminismus nähren. Und damit ist alles gesagt. Menschenfeindliche Strukturen zu nähren ist scheiße, egal, auf welchem Wege das passiert. Was gibt’s da noch zu reden?

Sophie Charlotte Rieger
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