Madame Bovary

Die Geschichte von Madame Bovary ist weitgehend bekannt, gehört dieser Roman doch zu den bekanntesten aus der Feder von Gustave Flaubert und gilt als Meisterwerk. Sophie Barthes aber adaptiert in ihrer filmischen Inszenierung nur einen Teil der Romanhandlung und nimmt einige Veränderungen vor, um ihrer Version der Geschichte einen neuen Fokus zu verleihen: die weibliche Hauptfigur Emma (Mia Wasikowska).

© Warner

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Nach einer strengen Erziehung zur braven Ehefrau im Stil des 19. Jahrhunderts heiratet Emma den Landarzt Charles Bovary (Henry Lloyd-Hughes) und hofft auf ein aufregendes Leben. Zu ihrer großen Enttäuschung jedoch ist Charles alles andere als ein aufregender Mann. Im Gegenteil: Das Fehlen von Ambitionen, Interesse für Kunst und Kultur oder einer Unternehmungslust jedweder Art beginnt Emma zu deprimieren. Kurz lenkt sie die Schwärmerei für den Jurastudenten Léon (Ezra Miller) ab, doch zu einem Seitensprung kann sie sich nicht durchringen, ist noch zu sehr damit beschäftigt, einem erlernten Ideal von Weiblichkeit zu entsprechen. Sie zu entfesseln vermag erst der Marquis (Logan Marshall-Green) mit seiner manipulativen Verführungskunst, die Emma schließlich um den Verstand bringt. Insbesondere als der Marquis sie verlässt. Die Verlassene sucht Trost in einem Luxus, den sie sich nicht leisten kann und verschuldet sich und ihren Mann hoch. Zudem droht der Händler Lheureux (Rhys Ifans) ihre Affäre mit Léon auffliegen zu lassen, den sie mehr oder weniger zufällig bei einem Kammermusikabend wiedergetroffen hat. Emma sieht schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als sich das Leben zu nehmen.

Warner

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Wer die Vorlage kennt, der bemerkt an dieser Stelle bereits ein paar entscheidende Abweichungen der Filmversion von dem zu Grunde liegenden Roman. Während dieser mit einem auktorialen Erzähler bewusst neutral bleibt, nimmt Sophie Barthes in ihrer Verfilmung klar die Perspektive von Emma ein. So kommt es auch, dass Barthes‘ Version der Geschichte mit der weiblichen Hauptfigur beginnt und endet und nicht, wie Flauberts Buch, auch die Geschichte von Charles beleuchtet. Kleine Änderungen hinsichtlich Emmas Affären führen außerdem dazu, dass die junge Frau weniger als Opfer ihrer Umstände und mehr als Agentin ihres Lebens erscheint. Dabei sind ihre Handlungen durchaus kritikwürdig. Insbesondere ihre Verschwendungssucht und der zuweilen lieblose Umgang mit dem ihr treu ergebenen Charles entfremdet sie von den Zuschauer_innen, verleiht ihr aber gleichzeitig auch einen komplexen Charakter, der Interesse statt Mitleid weckt.

Ja, Emma lässt sich vom Marquis verführen, doch der entscheidende Schritt zu ihrer heimlichen Affäre ist ein bewusster und ein mutiger. Sie fühlt sich von der diabolischen Ausstrahlung des wohlhabenden Mannes angezogen, die Sophie Barthes wenig subtil durch eine metaphorische Jagdszene betont. Doch es ist nicht Naivität oder eine weibliche* Gier nach Schmuck und Seide, die sie antreibt, sondern das enge Korsett ihrer Rolle als gelangweilte und zutiefst unglückliche Ehefrau.

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Das Korsett ist die wichtigste Metapher in Barthes’ Inszenierung. Die erste Szene, die Emmas Tod vorweg nimmt, zeigt eine junge Frau, die keuchend durch den Wald läuft und sich dabei immer wieder in die Körpermitte greift. Zunächst scheint es, als würde das Korsett ihr die Luft abschnüren, doch schnell erfahren wir, dass es ein Gift ist, dass ihr den Atem nimmt. Das Bild ist dennoch eindrücklich: Emma wirkt eingezwängt, gefangen, erstickt. Im Folgenden setzt Barthes die zeitgenössische Unterkleidung für Frauen wiederholt in Szene, zeigt die enge Schnürung des Korsetts und verdeutlicht immer wieder ihre Auswirkungen. Emma braucht nicht nur Hilfe dabei, sich zu entkleiden, womit ihr im Grunde der selbstbestimmte Zugang zu ihrer Sexualität genommen wird, auch jedwede Emotion bringt sie in Atemnot: Ob Freude, Trauer oder Schmerz – im Korsett (ihrer gesellschaftlichen Rolle) ist hierfür kein Platz.

Und so wird Emmas Untreue zu einem Ausbruch. Ist die Sexszene mit ihrem Ehemann noch von Lustlosigkeit und auch Ratlosigkeit geprägt, schwingt sie sich im Bett mit Léon nach oben, als wolle sie endlich ihre Sexualität zurückerobern. Ihr Orgasmus bleibt trotzdem unsichtbar. Sophie Barthes fehlt der Mut ihrer Hauptfigur.

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Emma muss scheitern, weil sie sich gegen ein System auflehnt, dem sie nichts entgegenzusetzen hat. Sie wird betrogen, ausgebeutet und erpresst. Ihre Suche nach Liebe, Leidenschaft und Abenteuer bleibt vergeblich. Doch Sophie Barthes lässt uns nicht schmerzvoll von Emma Abschied nehmen, inszeniert ihre Abwärtsspirale nicht als melodramatischen Angriff auf die Tränendrüse. Sie zeigt eine Emma, die alles unternimmt, um ihre Schulden zu begleichen und schließlich in einer vollkommen rationalen Entscheidung in den Giftschrank ihres Gatten greift. Emma ist keine „nervöse“ oder „hysterische“ Frau. Das Nervenleiden, das ihr Flaubert noch unterstellt, ist hier eine nachvollziehbare Mischung aus Liebeskummer und Höhlenkoller. Und ihr Selbstmord ist überraschender Weise kein Drama, sondern die Entscheidung für einen Ausweg. Da Emma hier anders als im Roman kein Kind hinterlässt, ist ihr Freitod nicht rücksichtslos oder egoistisch, sondern der traurige letzte Versuch, die Regisseurin ihres eigenen Lebens zu sein.

Ich habe mich schon mehrfach darüber echauffiert, dass gewisse Stoffe, wie beispielsweise Shakespeare, immer und immer wieder verfilmt werden und dabei immer und immer wieder dieselbe patriarchale Logik postulieren. Sophie Barthes ist nach vielen männlichen* Kollegen die erste Frau*, die sich Madame Bovary annimmt und zeigt, wie spannend es sein kann, eine alte Geschichte neu zu erzählen, ohne dabei ihren Kern aus den Augen zu verlieren. Vielleicht, so hoffe ich, verfilmt sie ja beim nächsten Mal Shakespeare.

Kinostart: 17. Dezember 2015

https://youtu.be/ADj4ypa6vSc

Sophie Charlotte Rieger
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