Learning to Drive – Abgesang an die romantische Liebe

Autofahren ist Freiheit – das ist, so finde ich, nicht nur eine ziemlich amerikanische, sondern auch eine recht männliche Definition. Die Unabhängigkeit der freien Fortbewegung stand gewisser Weise schon immer für den männlichen Freiheitsdrang. Auch im Film, denn letztlich ist es egal, ob der Mann auf einem Pferd durch die Prärie reitet oder mit einem Auto über den Highway düst. Freilich haben auch Frauen auf der Leinwand Roadtrips unternommen. Denken wir nur mal an Thelma & Louise, doch sind die Damen in dieser filmgenerischen Disziplin eindeutig in der Minderheit.

Für einen Mann bedeutet Autofahren, noch freier zu sein als er ohnehin schon ist. Für eine Frau ist der Führerschein oftmals ein Schritt auf dem Weg zur Emanzipation (von ihrem Fahrer = Ehemann). Die Metapher der Befreiung durch motorisierte Selbstermächtigung verabreicht Regisseurin Isabel Coixet hier allerdings zu sehr mit dem Holzhammer. Auch kann sie ihrer Geschichte über diese Kernthese hinaus leider nur wenig Substantielles beimischen.

Alamode

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Wendy (Patricia Clarkson) wird von ihrem Ehemann für eine jüngere Frau verlassen. Um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben, beschließt sie den Führerschein zu machen. Obwohl sie den in New York eigentlich gar nicht braucht. Der Akt ist also von Vornherein derart symbolisch, dass uns die Dechiffrierung der Metapher zu einfach erscheint, um ernsthaftes Interesse zu wecken. Ein bisschen so wie eine zu einfache Frage im Schulunterricht, auf die zu antworten wir als unter unserem Niveau empfinden.

Dass der Kern der Geschichte uninspiriert und platt wirkt, ist jedoch nicht das einzige Problem von Learning to Drive. Als verheerender entpuppt sich einmal mehr Isabel Coixets Schauspieler_innenwahl. Nachdem ihr Berlinale-Eröffnungsfilm Nobody Wants the Night für die Besetzung der Inuit Allaka mit der Japanerin Rinko Kikuchi gerügt werde, provoziert Learning to Drive dieselbe Kritik. Ben Kingsleys Stammbaum mag sich zwar irgendwo in indischen Gefilden verästeln und immerhin hat er mit der Verkörperung Gandhis Weltruhm erlangt, doch der Sikh und Taxifahrer Darwan ist ihm dennoch niemals ganz abzunehmen. Dies fällt besonders deshalb ins Gewicht, da die Nationalität Darwans, seine optische Andersartigkeit sowie die rassistischen Reaktionen auf eben diese mehrfach expliziten Eingang in die Handlung finden. Warum also nicht einen indischen Schauspieler besetzen? Auch Filmehefrau Sarita Choudhury ist zwar auf die Rolle der Inderin abonniert (neben der Jasleen in Learning to Drive mimt sie auch seit mehreren Staffeln die Mira Berenson in Homeland), kann mit ihrer Kindheit in Jamaica jedoch ebenfalls eher als „theoretische Inderin“ gewertet werden.

© Alamode

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Mitnichten möchte ich Kingsley und Choudhury ihr Schauspieltalent absprechen, doch ihre Arbeit, die bewusst Verkörperung eines fremden Menschen, ist der Performance der beiden Darsteller_innen stets anzusehen. Learning to Drive büßt eine große Portion potentiellen Charmes ein, indem der Film auf authentischen Lokalcolorit verzichtet. Dies betrifft trauriger Weise jedoch nicht nur die vermeintlich indischen Hauptfiguren, sondern auch den Spielort New York, der selten mit so wenig Charme inszeniert wurde wie hier. Das Potential der Metropole, selbst zur Protagonistin einer Geschichte zu werden, in der es eben nicht nur um Liebe, sondern auch um (kulturelle) Identität geht, bleibt völlig ungenutzt.

Auf Grund all dieser Versäumnisse gelingt es Isabel Coixet nicht, ihrer ungewöhnlichen Fahrschul-Romanze Tiefgang zu verleihen. Dabei hat sie eigentlich eine Menge zu erzählen. Auch wenn sie sich insbesondere im ersten Akt in bedauerlich vielen Geschlechter-Stereotypen verliert (die asexuelle Frau und der triebgesteuerte Mann), formuliert sie mit Learning to Drive doch die drängende Frage nach der Beschaffenheit der Liebe in den Zeiten der Gleichberechtigung.

© Alamode

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Wendy verliert ihren Mann, aber sie verliert damit nicht ihr Leben. Sie hat einen Beruf, ihr eigenes Geld, eigene Ziele und Ideen. Der Verlust ist vornehmlich ein romantischer und ideeller, weshalb die Fahrstunden auch keinen tatsächlich emanzipatorischen Akt darstellen. Es geht darum, nach dem Scheitern einer Beziehung wieder nach vorne zu schauen, sich auf sich selbst zu konzentrieren: Wie kann ich mein Leben durch mich selbst bereichern, Ängste überwinden und dadurch neue Wege einschlagen? An verschiedenen Punkten macht Coixet deutlich, dass es im Leben ihrer Protagonistinnen niemals darum gehen darf, sich an die Seite eines Mannes zu stellen, sondern an sich selbst zu wachsen.

Dass sie dieses sehr freie Liebes- und Beziehungsverständnis mit einer arrangierten Ehe kontrastiert, wirkt zunächst befremdlich. Doch die Verbindung zwischen Darwan und Jasleen ist kein missbräuchliches, auf Zwang basierendes System, sondern eine interessante Alternative zur romantischen Illusion. Wendy und ihr Mann scheitern am Versprechen der romantischen Monogamie. Im 7-Jahres-Rhythmen bricht Ted (Jake Weber) auf die eine oder andere Weise aus seiner Ehe aus, nur um schließlich reumütig zu seiner treu abwartenden Frau zurückzukehren. Trotz der vermeintlich „wahren Liebe“ existiert hier im Grunde ebenso wenig Respekt wie Rücksichtnahme. Die romantische Liebe ist ein unsichtbares patriarchales emotionales Gefängnis.

Auch die Verbindung zwischen Darwan und Jasleen hat ihre Tücken, doch haben sich die Eheleute in diesem Fall keiner Illusion des „perfect match“ ergeben, sondern sehen beide der anstehenden Beziehungsarbeit offenen Auges entgegen. Dabei ist der Schlüssel die Begegnung auf Augenhöhe, die Unabhängigkeit des Einzelnen und die freiwillige und zugleich hingebungsvolle Zusammenkunft der Liebenden. Am Ende ist es tatsächlich dieser so „unromantisch“ wirkende Weg, der zum Ziel einer stabilen Verbindung führt. Dass Isabel Coixet diese Beziehungsalternative nicht einem klassischen Hollywood-Happy-End opfert, macht ihre Position umso deutlicher: Die romantische Liebe als System emotionaler Abhängigkeit ist überholt und in keinem Fall der Stoff aus dem unsere Träume sein sollten.

Am Ende darf Wendy dann doch den Highway entlang brausen, also „in den Sonnenuntergang reiten“. Wie um uns mit all ihren Stereotypen und zuweilen sexistischen Dialogen auszusöhnen („I know what you can do better than you“), vollzieht Isabel Coixet damit schließlich die weibliche Aneignung eines männlichen Motivs. Das Fahren um das Fahren willens, als Akt der Freiheit.

Kinostart: 6. August 2015

Sophie Charlotte Rieger
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