Kurzfilmtage 2016: Frauen in Musikvideos – Hot Babes?

Wir kennen sie aus den klassischen Hip-Hop-Videos: Vollbusige Frauen mit formvollendeten Hinterteilen, die so prominent wie möglich in Szene gesetzt werden. Die heißen „Babes“ umtänzeln einen Macho-Rapper und unterstreichen seine Männlichkeit und Coolness. Denn wer so viele „tighte Bitches“ um sich versammelt, muss natürlich beeindruckende Eier haben. Oder so.

Die Zusammenstellung internationaler Musikvideos bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen verzichtete zwar auf Hip Hop Sexismus dieser Art, war aber unterm Strich von der geschilderten Rollenverteilung nicht weit entfernt. Auch wenn sich die abstrakte Verbindung von Sound und Animationen sowie die Fragmentierung von Wort und Bild motivisch durch das Programm zogen und damit den Menschen an sich in den Hintergrund verbannten, ließen sich doch gewisse Geschlechterklischees nicht leugnen. Während der Künstler selbst in verschiedenen Videos auftritt – wie z.B. Karl Hyde in I Exchale, Torsten Kretchzmar in Avant Garde (Da Da Da) oder Tyler, The Creator in Buffalo – war in keinem der 17 Clips eine Künstlerin zu sehen. Frauen* bzw. Frauen*körper sind auf den ersten Blick auch im Jahr 2016 also immer noch ein beliebtes Motiv und vornehmlich als Objekte statt als Subjekte präsent. Oder ist das zu kurz gegriffen? Zwei Clips , die sich ganz der Beobachtung eines Frauen*körpers widmen, wenn auch vollkommen anders als die eingangs erwähnten Hip Hop Chicks, möchte ich genauer unter die Lupe nehmen, um einer Antwort näher zu kommen.

In Voodoo in My Blood von Massive Attack (Regie: Ringan Ledwidge) sehen wir Rosamund Pike, die – offensichtlich desorientiert oder psychotisch – durch eine Unterführung stolpert, deren verstörende Surrealität an David Lynch Szenarien denken lässt. Die junge Frau* trifft auf ein unbekanntes Flugobjekt: Eine schwebende silberne Kugel von der Größe ihres Kopfes, die sie zu einer Art modernen Tanzes manipuliert, zu Bewegungen, die zugleich auf entstellende Weise ekstatisch wie auch kontrolliert wirken. Pikes zuckende Gliedmaßen sollen die Zuschauer_innen weder voyeuristisch erbauen noch erregen. Ebensowenig aber sind sie beliebig, sondern sichtbar im Kontext des zeitgenössischen Tanzes angesiedelt. Die Performance balanciert zwischen verschiedenen Formen der Inszenierungen, zwischen der Zurschaustellung und der Entstellung des weiblichen* Körpers, zwischen der manipulierten Frau* als Kunstobjekt und der Tänzerin als künstlerischem Subjekt. Pike bäumt sich auf, taumelt, schmeißt sich selbst gegen die Wand, reißt den Mund auf und verliert dabei doch niemals ihre Grazie. Es ist ein strapaziöser Tanz, eine körperliche Tour de Force, für die die Performerin hier unseren Respekt einfordert. Sie ist nicht die Deko für einen Musiker, sondern als Tänzerin selbst eine Künstlerin.

Dieselbe Verbindung von Zuschauerstellung und Entstellung des weiblichen Körpers lässt sich in BB Talk von Miley Cyrus beobachten, die bei ihrem Musikvideo – gemeinsam mit Diane Martel – auch Regie geführt hat. „Fuck me so you stop baby talking“ ist der Wunsch, den Miley hier als Riesenbaby in tiefem, maskulinem* Sprechgesang wiederholt artikuliert. Weil selbst Miley Cyrus in Windeln nicht sexy aussieht, führt sie damit ein sexistisches Klischee ad absurdum. Wenn Männer* Frauen wie Babys behandeln, nämlich von oben herab, und sie unter Umständen auch noch als solche bezeichnen, ist dies kein Ausdruck der sexuellen Anziehung zwischen Erwachsenen, sondern eine Erniedrigung der Frau*, die infantilisiert und damit ihrer Eigenverantwortlichkeit und (körperlichen) Selbstbestimmheit beraubt wird. Und das ist nicht sexy! Bis auf eine wiederholte Sequenz, in der sich Miley neckisch in einem Kinderbett räkelt, wirkt die für ihre Provokation bekannte Sängerin hier überraschend unerotisch. Sie rollt sich nicht nur in Windeln über den Boden, sondern tanzt auch gemeinsam mit anderen Frauen* in übergroßen unförmigen Babykostümen, womit sie das Bild der tanzenden „hot babes“ in Musikvideos auf höchst amüsante Weise vorführt und dekonstruiert.

(Leider ist das Originalvideo auf Mileys offiziellem (!) YouTube-Channel wegen der lieben GEMA in Deutschland nicht freigegeben. Der sich den Clip ohne die lästigen Untertitel ansehen willst, kann das aber hier tun)

Es ist also nicht ganz so einfach mit den Frauen* in den Musikvideos. Zumindest die in Oberhausen vorgestellten Clips beschäftigen sich aktiv mit der Inszenierung des weiblichen Körpers und distanzieren sich damit klar von sexistischen Stereotypen. Bleibt nur noch zu hoffen, dass dieser Ansatz vom „Experimentellen“ in den Mainstream rutscht.

Anbei: Ich konnte Miley Cyrus zugegebener Maßen noch nie besonders gut leiden. Aber mit diesem Clip hat sie bei mir einen großen, bunten Blumentopf gewonnen.

Sophie Charlotte Rieger
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