Interview: Das Luststreifen Festival in Basel

Vom 26. bis zum 30. September 2018 findet in Basel das 11. Luststreifen Film Festival statt. Der Titel weckt ja bereits erste Assoziationen: Es muss hier wohl auf irgendeine Weise um Sexualität gehen. Was genau es damit auf sich hat, welche Ziele des Festival verfolgt und welche Teile des Programms sich in diesem Jahr besonders lohnen, hat mir die Medienhauptverantwortliche Olivia Bianchi in einem Skype-Interview verraten.

@ Anaïs Steiner

Wie ist das Festival zustande gekommen? Warum wurde es gegründet?

Das Luststreifen Festival findet in diesem Jahr zum elften Mal statt, dies zum ersten Mal als eigenständiger Verein und mit neuem Team. Ursprünglich handelte es sich nicht um ein Festival, sondern ein kleines Filmfest, das von dem Verein habs, Homosexuelle Arbeitsgruppe Basel, initiiert wurde. Über die Jahre hat es sich zum Luststeifen Film Festival weiterentwickelt: Es wuchs an Inhalten, Zielen und Bedürfnissen woraus sich eine Intersektionalität von Themen ergab.

„homosexuelle Begehren und Perspektiven ausserhalb der heterosexuellen Norm“

Weißt Du, wie es ursprünglich zu diesem kleinen Filmfest kam?

Vor elf Jahren hat sich die habs überlegt, dass eine Plattform für homosexuelle Repräsentation fehlt. Sie wollten eigentlich erst einmal nur für sich selbst ein Event einrichten, bei dem sie zusammen zur Abwechslung einmal queere Filme schauen konnten, um sich selbst mehr repräsentiert zu fühlen. Durch die habs und das Luststreifen kam die Möglichkeit auf, homosexuelle Begehren und Perspektiven ausserhalb der heterosexuellen Norm sichtbar zu machen.

© Luststreifen Film Festival

Luststreifen ließe sich also als queeres Festival beschreiben?

Genau. Bis letztes Jahr wurden wir noch Queer Feminist Filmfestival genannt. Diese Bezeichnung haben wir jetzt aber gestrichen, um ein bisschen breiter zu werden. Die Definition des Luststreifen als queerfeministisch ergibt sich aus dem Starkmachen für marginalisierte Personen und Personengruppen – und aus der Auseinandersetzung mit intersektionalem Feminismus, also einem Feminismus gegen Mehrfachdiskriminierungen und Ungleichheiten, im Zusammenhang mit Gender, Sexualität, Identität, Rassismus, Ethnizität und Religion.

„Wir möchten mit den alltäglichen Sehgewohnheiten brechen“

Hat sich das Festival in den zehn Jahren Geschichte verändert?

Es gab keine riesigen Veränderungen. Jedes Jahr hat es einen anderen Fokus gegeben, insofern gab es kleinere inhaltliche Veränderungen – die Inhalte wurden immer diverser und umfassender. Aber die größte Veränderung hat in der Hinsicht stattgefunden, dass wir uns vergrößert und unser Angebot von Film- und Rahmenprogramm ausgebaut haben. Die Kriterien der Filmauswahl sind aber dieselben geblieben.

Nach welchen Kriterien wählt ihr aus?

Wir bemühen uns, Filme auszuwählen, die non-profit sind, fair produziert wurden und sich abseits vom Mainstream verhalten. Das wichtigste Kriterium ist nach wie vor, dass es sich um andere Liebes- und Lebensrealitäten dreht. Wir möchten mit den alltäglichen Sehgewohnheiten brechen und neue Bilder aufzeigen und dadurch Denkprozesse anregen.

„Sexualität, Sinnlichkeit und Lust sind nach wie vor in Machtstrukturen festgefahren“

Weshalb ist das Thema Sexualität bei euch so zentral?

Von Anfang an war das Luststreifen eine Plattform, die Tabus ansprechen, das Ungesagte auf die Leinwand bringen sollte. Und da gehört Sexualität natürlich dazu und sollte immer wieder zum Thema werden, damit sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Sexualität, Sinnlichkeit und Lust sind nach wie vor in Machtstrukturen festgefahren – d.h. tabuisiert und heterosexuell, binär und patriarchal normiert. Das Luststreifen stellt sich dem entgegen, wir möchten Vielfalt aufzeigen und eine selbstbestimmte Sexualität hervorheben. Sexualität und Lust ist viel weiter zu fassen, als im Mainstream präsentiert wird. Das Medium Film eignet sich dafür besonders gut, weil Bilder bei Menschen immer etwas auslösen, Distanz abbauen.

© Anaïs Steiner

Wie ist es denn in der Schweiz mit dem Thema LGBTQ. Wie schwer bzw. leicht ist es zum Beispiel, ein Festival wie das Luststreifen zu organisieren? Gibt es da Gegenwind?

Wie viele nicht-gewinnorientierte kulturelle Veranstaltungen ist das Luststreifen von freiwilliger Arbeit getragen. Die Organisation wäre nicht möglich ohne das 10 köpfige Team und die unzähligen Helfer_innen, Gönner_innen und Unterstützer_innen, welche sich alle freiwillig und aus eigener Motivation am Luststreifen beteiligen.

Basel ist eine kulturell sehr offene Stadt. Wir haben sehr viele kulturelle Events. Allein Filmfestivals gibt es hier gefühlt unzählige. Natürlich bekommt man schon immer wieder ein bisschen komische Blicke. Aber generell kommt es wirklich drauf an, wo man sich befindet und Basel ist eigentlich der beste Ort, um auf diese Weise kulturell aktiv zu sein.

„Ich glaube, so weit sind wir noch nicht in der Schweiz.“

Und wie ist es im Schweizer Fernsehen mit LGBTQIA-Themen?

Das ist interessant: Dieses Jahr wurde immer mehr Wert darauf gelegt. Wir haben einen großen Sender in der Schweiz, den SRF. Und es wird immer mehr über dieses Thema diskutiert, auch in politischen Zusammenhängen. Es bemühen sich immer mehr Schweizer Filmschaffende, Filmemacher_innen und Regisseur_innen, Gleichberechtigung, Diversität und Awareness zu thematisieren. Das Luststreifen fördert Schweizer Filmschaffen und honoriert die Leistung solcher Menschen mit unseren diesjährigen Lust-Awards als Anerkennung ihrer filmischen Leistung. Beim Festival sind beispielsweise die jungen Regisseurinnen Nadia Lanfranchi, Nina Oppliger und Corinne Pfister vertreten mit ihrem Kurzfilm Being Okey.

Und im fiktionalen Fernsehen? Gibt es queere Filme oder Serien?

Ich glaube, so weit sind wir noch nicht in der Schweiz. Mir fällt jetzt zumindest kein Beispiel ein. Ich bin leider keine Expertin in der Filmlandschaft, dazu haben wir ja glücklicherweise ein Filmprogrammationsteam im Luststreifen. Aber vor allem politisch wird es immer mehr ein Thema.

„die Frage nach Sexualität und Begehren im Zusammenhang mit Schuld“

Ihr habt auch Theaterperformances im Programm, zum Beispiel von dem Berliner Kollektiv Henrike Iglesias. Wie kommt das?

Das hat unsere Festivalleiterin Ledwina Siegrist in die Wege geleitet. Das Künstler_innen-Kollektiv Henrike Iglesias behandelt in ihrer Performance oh my die Frage nach Sexualität und Begehren im Zusammenhang mit Schuld in einer hochsexualisierten Gesellschaft. Die inhaltliche Übereinstimmung ermöglichte eine Kooperation: Die Aufführung findet ohnehin im ROXY Theater statt und mit den Tickets vom Luststreifen kann man sie vergünstigt besuchen. Im Anschluss an die Performance gibt es einen Shuttle, der wieder zurück nach Basel und zur Festivalparty fährt.

© Luststreifen

Was ist Deiner Meinung nach in diesem Jahr das Highlight?

Ich würde vor allem unsere Ausstellungen empfehlen. Wir haben dieses Jahr zwei in unserem Rahmenprogramm. Eine von der Baseler Künstlerin Ziska Bachwachs. Die Ausstellung Frauen* liebende Frauen*, thematisiert erzählerisch in Wimmelbildern die Sichtbarkeit von lesbischen Frauen*. Die Bilder sind im unserem Festivalzentrum der Aktienmühle zu bestaunen. Und auch unsere große Lust_Art Kunstausstellung ist sehr empfehlenswert. Die Ausstellung findet zwischen dem 21.9. und dem 14.10.18 in der Panda Bar (Spitalstrasse 32, Basel) statt. Gezeigt werden acht verschiedene Kunstprojekte, welche mit unkonventioneller Thematik gängige Stereotypen enttabuisieren.

Bei den Filmen finde ich vor allem unsere Dokumentarfilme sehr interessant, insbesondere Fallen Flower Thick Leaves. Der Dokumentarfilm spielt in China und dreht sich um die Auseinandersetzung und das Verständnis der dortigen Kultur von Sexualität und Geschlechterrollen, insbesondere die Rolle von chinesischen Frauen.

Sophie Charlotte Rieger
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