Interview: Collien Ulmen-Fernandes über „No More Boys and Girls“

No More Boys and Girls – das ist der Titel einer zweiteiligen ZDF-Sendung über die Geschlechterrollenbilder von Grundschulkindern, moderiert von Schauspielerin und Kinderbuchautorin Collien Ulmen-Fernandes. Ausgestrahlt wird dieses kleine geschlechterpädagogische Experiment am 22. November 2018 zur Prime Time um 20.15 Uhr.

Das war für mich ein guter Anlass, mit meiner Tradition zu brechen und auf der FILMLÖWIN erstmalig eine Fernsehproduktion vorzustellen. Ich habe also die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und Collien interviewt – über das konkrete TV-Projekt, zu ihrem generellen Interesse am Thema Geschlechtergerechtigkeit und natürlich ihrem Kinderbuch Lotti & OttoDas gibt es übrigens auch zu gewinnen!

„Frauen sind schön und Männer sind Chefs.“

Filmlöwin: Der Titel Deiner Sendung, No more Boys and Girls, ist ja quasi ein Albtraum für die Genderwahn-Fraktion. Aber mal in Deinen eigenen Worten: Worum geht es dabei?

Collien Ulmen-Fernandes: Zuallererst ging es darum, den Status Quo abzufragen. Wir gingen in eine Schule und fragten die Kinder: „Wie seht ihr das eigentlich? Wie sind Jungen, wie sind Mädchen, wie sind Männer, wie sind Frauen?“ Dabei kamen Sätze wie: „Frauen sind schön und Männer sind Chefs.“ Das ist der Status Quo. Und dann machten wir eine Reihe an Experimenten zu dem Thema, schauten zum Beispiel, wie die Kinder ihre eigene physische Stärke einschätzen. Dazu habe ich ein „Hau den Lukas“-Spiel mitgebracht und die Kinder gebeten, zu schätzen, wo sie landen werden. Die Mädchen schätzten sich irgendwo im Bereich zwischen 10 und 40 ein, was sehr weit unten ist bei diesem Spiel, denn es geht bis 100. Die Jungs lagen irgendwo zwischen 80 und 100. Tatsächlich ist es aber so, dass sich in dem Alter die physische Stärke von Jungen und Mädchen nicht unterscheidet. Das kommt erst mit der Pubertät. Trotzdem dachten die Mädchen, die Jungen seien wesentlich stärker als sie und waren danach sehr überrascht, dass sie es allesamt geschafft haben, die 100 zu schlagen.

© ZDF / Martin Rottenkolber

Das ist ja nicht das erste Mal, dass Du Dich mit dem Thema beschäftigt hast. Gab es da für Dich im Rahmen dieser Sendung trotzdem noch Momente der Überraschung?

Wir haben die Kinder gebeten, eine Person zu zeichnen, die ein Flugzeug fliegt. Es hat mich nicht überrascht, dass diese Person hauptsächlich männlich war. Daraufhin hab ich den Kindern eine Pilotin vorgestellt. Und von den zehn Mädchen, mit denen wir in dieser Schulklasse gedreht haben, sagten mir hinterher sieben: „Oh, ich will auch gerne Pilotin werden.“ Und es fiel mehrfach der Satz, und der hat mich tatsächlich überrascht: „Ich wusste gar nicht, dass Frauen das auch können.“ Dadurch dass es in ihrem Sichtfeld nicht stattfand, sie noch nie eine Pilotin gesehen haben, wussten diese Mädchen tatsächlich nicht, dass Frauen das auch können.

„Ich wusste gar nicht, dass Frauen das auch können.“

Was können oder sollten wir tun, um diese Geschlechterstereotypen zu ändern?

Man kann nicht anfangen, wenn diese Mädchen erwachsen sind. Man muss früh anfangen, den Mädchen zu zeigen, dass Flugzeuge auch für sie interessant sein könnten. Dass sie Topmodel oder Ballerina werden können, wussten diese Mädchen schon, aber sie waren wirklich überrascht darüber, dass Frauen auch Flugzeuge fliegen können. Es geht nicht darum, ihnen zu sagen, dass sie jetzt Pilotinnen werden müssen, sondern ihnen einfach die ganze Welt zu eröffnen – von Ballett bis Flugzeugfliegen. Es gibt diesen Satz: „If you can see it, you can be it“ – wenn Du es nie sehen kannst, dann findet das in Deinem Horizont auch nicht statt. Dann kommt man als Mädchen gar nicht auf die Idee, Pilotin werden zu wollen.

© ZDF / Martin Rottenkolber

Wenn ich mal ganz blöd und provokant fragen darf: Warum ist es denn wichtig, dass Mädchen auch Pilotinnen werden können?

Sie müssen es ja nicht, es geht nur darum, jedem Kind die Welt komplett frei und ohne Einschränkungen zu eröffnen. Es geht darum, ihnen zu sagen: „Du kannst das auch!“ Hier ist der gesamte Berufskatalog – entscheide Du selbst, völlig frei von irgendwelchen Zuschreibungen.

„Nein, das ist doch nichts für dich, das ist ein Mädchen T-Shirt.“

Zum Beispiel waren wir mit T-Shirts in der Fußgängerzone und haben kleinen Jungs und Mädchen zwischen zwei und vier Jahren verschiedene Shirts angeboten. Bei den Jungen war das besonders interessant. Wir hatten T-Shirts mit Skateboards drauf und T-Shirts mit Robotern und all diesen Sachen, von denen man hört, dass sie „Jungssachen“ sind. Dazwischen waren auch blaue T-Shirts mit Blumen, die wir selbst gebastelt haben. Den Jungen gefielen sowohl die Roboter als auch die Blumen T-Shirts. Aber als die Jungen die Blumen T-Shirts aus dem Ständer zogen, sagten die Mütter: „Nein, das ist doch nichts für dich, das ist ein Mädchen T-Shirt.“ Und hängten es wieder zurück.

So etwas findet, glaube ich, ganz oft unterbewusst statt. Wenn man diese Mütter fragen würde, ob sie für Gendergerechtigkeit sind, würden sie alle „ja“ sagen.

„die Rollen in den meisten Kinderbüchern sind extrem stereotyp.“

© Edel Germany

War das auch ein Grund für Dich, das Kinderbuch Lotti & Otto zu schreiben, also um auch die Eltern auf das Thema aufmerksam zu machen?

Ja, auf jeden Fall. Wenn wir irgendwann in einer gleichberechtigten Welt leben wollen, ist es wichtig, sich als Eltern bewusst mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu reflektieren. Wir zum Beispiel haben uns selbst erwischt gefühlt, als wir eine Doku darüber sahen, dass kleinen Mädchen weniger technische Spielsachen geschenkt werden als Jungs. Wir haben dem Jungen sehr viel geschenkt, was sich mit einer Fernbedienung bedienen lässt und unserer Tochter, da war sie 5, nichts dergleichen. Also fragten wir sie, ob sie gerne mal einen Roboter hätte und sie rief laut „Ja!“ Also schenkten wir ihr einen, mit dem sie seitdem wirklich jeden Tag spielt. Auch die Rollen in den meisten Kinderbüchern sind extrem stereotyp. Wir müssen den Kindern eine Vielfalt an Rollen und Verhaltensweisen präsentieren, denn nur dann können sie wirklich frei entscheiden, wer und wie sie sein wollen.

Und das tun Kinderbücher nicht?

Schaut man sich mal etwas bewusster im Kinderbuchregal um, fällt auf, dass Männer und Frauen, Jungen und Mädchen oft extrem stereotyp dargestellt sind. Noch extremer als es in der Erwachsenenwelt der Fall ist. Zum Beispiel ist es in den Gute-Nacht-Geschichten meiner Tochter immer die Mutter, die die Kinder ins Bett bringt und das Essen zubereitet und der Vater kommt von der Arbeit nach Hause. Wenn man das sieht, dann wundert es natürlich nicht, dass unsere Schulkinder mir sagen, Männer seien Chefs und Frauen für die Kinder zuständig, für’s Putzen und Kochen. Da waren sie sich alle einig. Selbst wenn bei ihnen der Papa das Schulbrot schmieren sollte, nehmen sie es als Ausnahme wahr, weil ihnen in den Büchern und Filmen etwas anderes als normal vorgelebt wird.

Ein Buch alleine bringt aber natürlich nichts. Ich würde mir mehr Bücher in diese Richtung wünschen, um den Kindern eine Vielfalt aufzuzeigen. Diese Vielfalt haben wir aktuell noch nicht.

Sophie Charlotte Rieger
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