IFFF 2015: Red Rose – Hinter verschlossenen Türen

© IFFF 2015

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Teheran 2009. Eine ganze Generation geht auf die Straße und kämpft für ihre Freiheit. Doch der Widerstand ist gnadenlos. Straßenkämpfe, Verletzte, Tote. Eine Gruppe junger Demonstrant_innen kann sich in letzter Sekunde in der Wohnung eines Mannes verstecken. Ali (Vasilis Kuhkalani) ist überfordert, verrät die Flüchtenden jedoch auch nicht an die Polizei, als diese an die Tür hämmert. Und so schnell wie sie hineingestürmt sind, stürmen die jungen Leute auch wieder hinaus. Ali bleibt in der Wohnung. Wie er ohnehin immer in seiner Wohnung bleibt.

Die Kamera tut es ihm gleich. Red Rose ist ein Kammerspiel, Alis Wohnung der einzige Spielort. Ergänzt werden die Szenen in diesen Innenräumen durch YouTube Videos der Demonstrationen in Teheran 2009, also Originalaufnahmen der damaligen Ereignisse. Somit entsteht auch durch die Bildqualität ein Bruch zwischen innen und außen, der die Zerrissenheit der iranischen Gesellschaft unterstreicht. Nur heimlich, hinter verschlossenen Türen darf der Wein aus dem Versteck geholt werden. Nur hinter verschlossenen Türen informieren anonyme Tweets die Welt über die Geschehnisse. Nur hinter verschlossenen Türen werden die Frauen zu sexuellen Akteurinnen.

Der zurückhaltende, wenn nicht gar phlegmatische Ali sieht sich mit einer nahezu aggressiven Frau konfrontiert. Sara (Mina Kavani), eine der Demonstrant_innen, hat ihr Handy in seiner Wohnung vergessen. Doch kaum öffnet Ali ihr die Tür, wird er sie nicht mehr los. Sie ergreift die Initiative, holt sich genau das, was sie braucht. Ansprache, Ablenkung und Sexualität. Es ist keine Liebesgeschichte, die sich abspielt, sondern die Begegnung zweier verlorener Seelen.

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Während Ali tagsüber in der Wohnung bleibt und das Chaos in den Straßen nur über den Fernseher verfolgt, scheinbar ungerührt von der kritischen Lage, wirft sich Sara jeden Tag von Neuem in die Demonstration, wird Zeugin und auch Opfer von Gewalt und Menschenfeindlichkeit. Ali und Sara sind zwei Seiten derselben Medaille. Die eine emsig in einem Kampf, dessen Aussichtslosigkeit sie längst ahnt. Der andere gezeichnet von einer Niederlage, zu hoffnungslos, um aktiv zu werden, gleichzeitig aber gedanklich noch immer zu involviert, um das Land zu verlassen.

Die beiden Einzelschicksale verbinden sich in den begrenzten Räumen der Wohnung zu einem gemeinsamen Drama von großer Intensität. Wie reagieren Menschen in einer Situation, in der sie eingesperrt und ihrer Freiheit beraubt werden? Welche Möglichkeiten, welche Handlungsoptionen bleiben ihnen? Welche Bewältigungsstrategien wählen sie, welchen Ausweg kann es geben? Je mehr Zeit Ali und Sara miteinander verbringen, je mehr sie sich einander und dem Kinopublikum offenbaren, desto eindrücklicher gestaltet sich ihre Verzweiflung und ihre Not. Die Zuschauer_innen werden mit hineingeholt in diese Situation, sehen sich den erschütternden Bildern aus den Straßen Teherans ebenso ausgesetzt, wie der Hoffnungslosigkeit, die sich in Alis Gesicht spiegelt.

Regisseurin Sepideh Farsi lässt die politischen Ereignisse die meiste Zeit eher subtil im Hintergrund ablaufen und verlässt sich bei ihrer Darstellung gänzlich auf die Wirkung der YouTube-Videos. Ganz am Schluss jedoch bricht sie diese Struktur, öffnet den Raum der Wohnung für wenige Minuten und transportiert die Spielfilmhandlung in ein neues, ein politische Umfeld. Dieser Bruch ist inhaltlich wie formal von großer Brutalität. Damit schießt Farsi bedauerlicher Weise über das Ziel hinaus. Die Wirkung ihres Films wäre ohne diese letzten Szenen stärker gewesen.

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Red Rose bleibt dennoch ein sehenswerter und wirkungsvoller Film, der über seine politische Botschaft hinaus auch ein emanzipatorisch wertvolles, weil immens sexpositives Frauenbild transportiert. Sepideh Farsi zeigt ein anderes Bild der iranischen Frau, als es vermutlich in unseren Köpfen existiert, und dekonstruiert damit Stereotype. Aber nicht nur deshalb ist ihr Werk bewundernswert. Mit diesem Film hat sie eine Entscheidung für die Kunst getroffen. Weder sie noch ihre Schauspieler_innen können – zumindest unter den aktuellen Bedingungen – jemals in den Iran zurückkehren. Doch die Situation der Menschen in ihrem Heimatland durch das Medium Film in die Welt zu tragen und einem internationalen Publikum zugänglich zu machen, war Farsi wichtiger. Was für eine mutige Frau! Was für eine Filmlöwin!

RED ROSE Trailer | Festival 2014 from TIFF on Vimeo.

Sophie Charlotte Rieger
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