Ich bin keine Frau der leisen Töne – Katrin Gebbe über Tore Tanzt

© Rapid Eye Movies

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Es gehörte zu den großen Überraschungen des Filmfestivals von Cannes 2013, dass ausgerechnet die bis dahin weitgehend unbekannte Katrin Gebbe mit ihrem Langspielfilmdebüt Tore tanzt das deutsche Filmschaffen an der Croisette vertrat. Ihr sperriges Drama über einen Jesus-Freak, der von einem Familienvater ohne jeden ersichtlichen Grund gequält wird, verstörte so nachhaltig, dass sich am Ende der Premiere in Cannes tosender Beifall und Unmutsäußerungen über die emotionale „tour de force“ die Waage hielten. Sophie traf die Regisseurin am Rande des Festivals, um über ihren beeindruckenden Film und dessen Premiere in Cannes zu sprechen.

„Ein einziges Festival kann nicht das Maß aller Dinge sein“

Was bedeutet das, wenn gleich der erste Film in Cannes läuft? Hängt die Latte für das nächste Projekt jetzt besonders hoch?

Ich glaube, wenn man sich diesen Druck macht, mit dem nächsten Projekt wieder hier sein zu müssen, stellt man sich selbst ein Bein. Ich sehe mich eher als Künstlerin als nur als Filmemacherin. Manche Leute behaupten ja, Film sei keine Kunst. Das ist hier in Cannes natürlich anders. Ich glaube, dass die Euphorie, die einen befällt, wenn man den richtigen Stoff gefunden hat, das Wichtigste ist. Der Film wird dann schon seinen Weg gehen, egal wo er landet. Egal, ob das Cannes ist oder nicht. Was ist denn Cannes? Cannes ist ein großes Lob. Man trifft Leute, es ist schönes Wetter, aber ich glaube, dass man auch woanders glücklich werden kann. Ein einziges Festival kann nicht das Maß aller Dinge sein und man sollte weiterhin die Projekte machen, die einen bewegen.

War Cannes etwas, worauf Du hingearbeitet hast, als Du angefangen hast, Filme zu machen?

Ja, das war tatsächlich so. Bei den guten Filmen steht ja immer irgendwo das Cannes-Logo drauf. Und natürlich habe ich mir gedacht, dass es der Hammer wäre, wenn dort mal ein Film von mir gezeigt würde. Als ich auf der Filmhochschule angenommen wurde, fragte mich mein Dozent, wo ich mich in sechs Jahren sähe und ich sagte: in Cannes.

„Ich habe bestimmt einen wuchtigen Film gemacht, weil ich selber wuchtig bin.“

Und wie kam es zu der Entscheidung, Regisseurin zu werden?

Das kann ich gar nicht so richtig in Worte fassen. Das ist so ein innerer Antrieb. Mir war klar, dass ich künstlerisch arbeiten wollte. Aber auf einem normalen Gymnasium in einer Kleinstadt, da fällt einem zum Thema Kunst erst mal Grafik-Design ein. Das war also das, was ich machen wollte. Deshalb und weil mir die Schule und die Leute dort gefallen haben, bin ich zum Studium in die Niederlande an die AKI in Enschede gegangen. In Deutschland habe ich immer das Gefühl, man wird in eine Schublade gesteckt und auf seinem Weg voran gepresst. In den Niederlanden hatte ich das Gefühl, mich einfach entfalten zu können und habe verschiedene Kurse wie Malerei, Bildhauerei und eben auch Film besucht. Und dann hat ein Dozent uns Pasolinis Salo gezeigt. Da ist mir klar geworden, was für eine Wucht ein Film haben kann und dass ich im Medium Film mehr ausdrücken kann als in einem Foto oder einer Malerei. Und als Grafiker kann man sowieso kaum etwas ausdrücken. Da wird viel geklaut und abgeguckt. Deshalb habe ich bei meinem Film versucht, mir eine Eigenständigkeit zu erarbeiten. Ich wollte nicht, dass man den Film ohne Weiteres in ein Genre einordnen kann oder dass jemand sagt, der und der Filmemacher habe das schon genauso gemacht.

Tore Tanzt hat ja auch eine ziemlich Wucht.

Ich habe bestimmt einen wuchtigen Film gemacht, weil ich selber wuchtig bin. Ich bin keine Frau der leisen Töne. Und ich würde wahrscheinlich auch kein leises Kino machen. Ich achte schon auf kleine Details, aber irgendwie braucht es doch immer einen „Wumms“ dahinter.

Wolltest Du mit Deinem Film provozieren?

Es gefällt mir an anderen Filmemachern, wenn sie sich das trauen.

„Ich möchte mit meinen Geschichten etwas aussagen“

An welchen?

Ich habe ja schon Pasolini erwähnt. Das ist natürlich ein Extrembeispiel. Aber auch Lars von Trier und Lukas Moodyssoon finde ich toll. Es gibt einige, die sich so etwas trauen. Ich glaube aber, es geht eher darum, dass ich mit meinem Film so eine Art Stachel zurücklassen will. Und das geht am besten, wenn man kein rundes Happy End liefert. Das hört sich jetzt sehr strategisch an, aber natürlich ist man als Autor und Filmemacher immer auch ein Stratege. Ich möchte mit meinen Geschichten etwas aussagen und nicht nur den Feierabend gestalten und am nächsten Tag vergessen sein.

Du hast als Vorbilder jetzt nur männliche Regisseure genannt…

Es gibt auch weibliche, zum Beispiel Jane Campion, die ich hier in Cannes schon gesehen habe. Sie ist ein großes Vorbild für mich, weil sie sich traut, neue, überraschende Sachen zu machen und dabei weder die Brutalität noch Sexualität ausspart. Zudem hat sie ein unglaubliches Gefühl für Poesie, Romantik und auch Leid. Das Piano ist einer meiner Lieblingsfilme. Wenn man den guckt, möchte man fast darüber weinen, wie großartig er ist.

Und woher kam die konkrete Geschichte von „Tore Tanzt“?

Der Film basiert ja auf einer wahren Begebenheit. Aber wenn man das so genommen hätte wie es in den Medien zu lesen war, wäre das wieder ein typisch deutsches, langweiliges Sozialdrama geworden. Die Inspiration kam aus den Medien und ich habe sie durch die religiöse Märtyrergeschichte, die Poesie, die Farbwelt und den strahlenden Charakter Tore erweitert. So etwas findet man nicht in einem Zeitungsartikel. Das ist harte Arbeit.

Sophie Charlotte Rieger
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