Gut Gebrüllt: Die Final Girls

© Final Girls Film Festival

Vom 9. bis zum 11. Juni 2017 findet in Berlin zum zweiten Mal das Final Girls Film Festival statt, das Horrorfilme von Frauen* zeigt (hier der Link des Facebook-Events zum Vormerken!). Eine großartige Idee, wie ich finde, und deshalb eine Steilvorlage für eine neue Ausgabe von GUT GEBRÜLLT mit den Festival-Gründerinnen Elinor Lewy und Sara Neidorf über das Festival aber auch die Frage, was eigentlich das Besondere an Horrorfilmen von Frauen* ist.

Filmlöwin: Wer seid ihr eigentlich und warum habt ihr Final Girls ins Leben gerufen?

Elinor Lewy: Alle drei Gründerinnen sind leidenschaftliche Horror-Fans, seit der Kindheit. Sara Neidorf kommt aus den USA, hat dort Filmwissenschaften studiert, organisiert auch den Queer Film Club in Berlin und macht Filme unter einem Pseudonym. Lara Mandelbrot ist eine rumänische Künstlerin und arbeitet gerade an ihrem ersten Drehbuch. Es soll ein rumänischer Folkhorror-Film werden. Ich komme aus Israel, habe Filmkurse an der Humboldt Uni absolviert, meine BA – und MA- Arbeiten über Film geschrieben, verfasse Filmkritiken und drehe gerade einen langen Dokumentarfilm.

Die Idee für Final Girls Berlin Film Festival kam durch den internationalen “Women in Horror” Monat, der schon acht Jahre existiert. Es gibt verschiedene Film-Events und Festivals in den USA, Kanada, Australien, England und Japan… aber nichts in Deutschland! All diese Events wollen eine große Lücke füllen und der männlichen Dominanz im Horror etwas entgegensetzen.

Was hat es eigentlich mit Namen „Final Girls“ auf sich? 
Elinor Lewy: „Final Girls“ ist ein bekannter Horrorbegriff und bezeichnet die letzte Frau (und Person), die im Horrorfilm überlebt und auch das Killer/Monster mit ihrer Intelligenz, ihrem Geschick und ihrer Ausdauer besiegt. Das „Final Girl“ ist traditionellerweise das „good girl“, das nichts Falsches macht (kein Sex, Drugs & Rock ’n Roll usw.), aber in den letzten Jahren wurde auch dieses Klischee langsam aufgebrochen.

Was ist eure Intention, euer Ziel oder auch eure Wunschvorstellung für das Festival?

Elinor Lewy © Vala Zemser

Elinor Lewy: John Carpenter, Wes Craven, George Romero, Tobe Hooper sind alle große Horror-Regisseure. Was haben sie noch gemeinsam? Sie sind alle weiße Männer.

Wir wollen Frauen im Horror sichtbar machen und viele großartige Filme einem neuen Publikum vorstellen. Bei unserem ersten Festival im Februar hatten wir ein Feedback-Formular und unsere erste Frage war, welche anderen Horrorfilme von Frauen die Zuschauer_innen gerne sehen würden. Die meisten konnten keine Horror-Regisseurin nennen.

Wir würden gerne eine Community hier bilden. Die Frauen im Horror-Netzwerk sind sehr unterstützend und wir heben uns gegenseitig hoch und wollen das weiterentwickeln.

Warum braucht es überhaupt ein Horrorfestival nur für Frauen? Ist es nicht vielleicht kontraproduktiv, weil Filme von Frauen damit vom Genre separiert werden, anstatt integriert?

Elinor Lewy: Wie du wahrscheinlich weißt, sind die Zahlen von weiblichen und männlichen Filmstudent_innen gleich. Nach dem Abschluss sieht es ganz anders aus: Sehr wenige Filme von Frauen werden finanziert und das ist ein internationales Problem. Die Lage ist im Genrefilm noch schlimmer: Es gibt diese Mainstreamvorstellung, dass Frauen Horror nicht leiden können und dass es irgendwie inkongruent zum Frausein ist – obwohl Horror immer ein großes weibliches Publikum hatte!

Wir wollen zeigen, was es schon lange gibt: Frauen, die Horror machen. Es gab auch Fortschritte in den letzten paar Jahren mit Filmen wie Jennifer Kents The Babadook, Julia Ducournaus Raw, und Karyn Kusamas The Invitation, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Kurz gesagt, es gibt nicht viele Plattformen für uns, also wir haben eine geschaffen.

Und was ist überhaupt eine Frau? Welche Kritikerin habt ihr für die Aufnahme eines Films in euer Programm hinsichtlich des Geschlechts der Filmschaffenden?

Elinor Lewy: Frau ist keineswegs im biologistischen Sinn gemeint. Wir arbeiten mit einem inklusiven Verständnis von „Frau“ und wollen Filme zeigen von queeren, nicht-binären Menschen und Menschen die entweder vergangene oder gegenwärtige Erfahrungen mit dem Frausein haben.

Machen Frauen andere Horrorfilme bzw. machen sie Horrorfilme anders? Woran könnte das liegen?

Elinor Lewy: Ich will nicht verallgemeinern und es gibt wirklich keine Regeln zu “Frauen-Horrorfilm,“ so wie es keine Regeln für Männer-Horrorfilme gibt. Die Durchschnittszuschauer_innen sind daran gewöhnt, Filme zu sehen, deren Charaktere der “Norm” entsprechen, d.h. weiß, männlich, heterosexuell, mittelständisch und nicht behindert. Filme von Leuten, die nicht diesen Identitätskategorien entsprechen, haben eine andere Assoziationswelt und Lebenserfahrung und das spiegelt sich in der Regel in ihren Werken wider.

© Tamir Shemltzer Frenkel Lederberg

Sara Neidorf: Die Zuschauer_innen haben die Welt durch den Film bis jetzt auf verzerrte und lückenhafte Weise erfahren, weil Männer hauptsächlich (fast ausschließlich) die Filmindustrie gesteuert haben. Das ändert sich langsam, da andere Gruppen mehr und mehr Zugang zu Ressourcen und Unterstützung erhalten, Filme zu verwirklichen. Weil diese Ungleichheit noch sehr stark ist, kann man kaum etwas Konkretes über wesentliche Unterschiede sagen (und vielleicht lohnt es nicht, das so abzugrenzen), aber es ist auf jeden Fall klar: Wir als Zuschauer_innen können von einer Erweiterung der Perspektiven in Filmen jeglicher Genres nur profitieren, und das gilt nicht nur für Gender, sondern auch für Race, Sexualität, sozioökonomischen Status und psychische/körperliche Fähigkeit.

Elinor Lewy: Horror ist auch bekannt dafür, sexistische Züge zu haben. Die halbnackte Frau, die vor dem Mörder mit dem Messer wegrennt, ist ein Stereotyp, das leider immer wieder wiederbelebt wird. Carol J. Clover beschreibt diese Tendenzen sehr gut in ihrem Buch Men, Women, and Chainsaws: Gender in the Modern Horror Film. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Frauen, die im Horror Bereich arbeiten, dazu neigen, diese abgenutzten Standardmotive nicht zu verwenden. Frauen machen sehr verschiedene Arten von Horrorfilmen, das ist in unserem diversen Filmprogramm auch sehr gut zu sehen.

Sara Neidorf: Ich würde noch hinzufügen, dass Horrorfilme, die von Frauen geschrieben/gedreht wurden, einfach besser geschriebene, mehrdimensionale weibliche Charaktere haben. Ich will auf keinen Fall verallgemeinern, aber es ist kein Geheimnis, dass viele Frauen auch verschiedene geschlechtsspezifische Lebenserfahrungen haben, die deswegen öfter in ihren Filmen vorkommen. Aufgrund persönlicher Erfahrung mit weiblicher Körperlichkeit und gesellschaftlicher Stellung sind Frauen auch besser ausgerüstet, bestimmte Erlebnisse oder Situationen nuancierter und ambivalenter darzustellen und damit eine andere einzigartige Art von Horror-Erlebnis zu vermitteln.

What Happened to Her © Kristy Guevara-Flanagan

Könnt ihr schon etwas zum Programm verraten? Wird es neben den Filmscreenings andere Veranstaltungen geben, wie z.B. Diskussionsrunden oder Workshops?

Elinor Lewy: Ja, wir haben vor einigen Tagen das Programm fertiggestellt und können schon einiges verraten! Die zweite Ausgabe des Festivals findet vom 9. -11. Juni 2017 im Kino Moviemento statt. Dieses Mal wird es Vorträge zum monströsen “Anderen” im Film und dem “Horror Hags” Subgenre geben.

Es wird auch mehrere Kurzfilm Programme geben, die in verschiedene Themen gruppiert sind wie Body Horror, Rache („Sweet Revenge“), und Familien Horror („All in the Family“) und viel mehr. Wir sind auch sehr froh darüber, drei exzellente Spielfilme zeigen zu können: Ingrid Jungermanns Women Who Kill am Freitag, der Anthologiefilm XX am Samstag, und Marina de Vans In My Skin am Sonntag.

XX © Koch Media

Letzte Frage: Die feministische Filmfee gibt euch drei Wünsche frei. Was wünscht ihr euch?

Elinor Lewy:  Ich bevorzuge es an kleineren, realistischen Zielen zu arbeiten, wo ich wirklich etwas verändern kann. Die Wunschfragen klingen immer zu utopisch für mich. Aber ich werde es trotzdem beantworten! Meine drei Wünsche sind: Mehr komplexe, realistische Darstellungen von Frauen mit all ihren Widersprüchen und Unannehmlichkeiten, wie zum Beispiel Tilda Swinton in Lynne Ramsays We Need to Talk About Kevin, den wir im Februar auch gezeigt haben. Mehr finanzielle, institutionelle Unterstützung.. Produzent_innen haben Angst, weiblichen Regisseurinnen Jobs zu geben, insbesondere in Filmen mit größeren Budgets, obwohl Frauen immer wieder bewiesen haben, dass sie Kassenschlager machen können. Und ich würde gerne sehen, was Regisseurinnen wie Kelly Reichardt, Andrea Arnold, Mia Hansen-Løve und Ava Duvernay (und viele viele andere) mit dem Horrorgenre machen würden.

Oh, das würde ich auch absolut gerne sehen. Wer weiß, vielleicht kann sich ja die eine oder andere mal zum Schritt in den Genre-Film durchringen! Euch erst einmal vielen Dank für das Interview und vor allem ein großartiges Festival!

Sophie Charlotte Rieger
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