Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste

© Missingfilms

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Es gibt so Filme, die kann eins kaum erwarten. Die Verfilmung eines Lieblingsbuches zum Beispiel oder die Fortsetzung eines nervenaufreibenden Franchises. Für mich ist Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste ein ebensolcher Film gewesen. Zum ersten Mal stieß ich auf das Projekt, als es sich noch in der Crowdfundingphase befand und war sofort begeistert. Dann verlor ich es aus den Augen, bis ich im vergangenen Jahr eine ausführliche Recherche über Regisseurinnen in Cannes für einen Artikel anstellte (die Kommentare darunter sind zum Thema Sexismus übrigens um einiges aussagekräftiger als der Text selbst). Ausgerechnet bei meinem Lieblingsfestival Achtung Berlin gab es dann das finale Wiedersehen, denn kein geringerer Film als der oben genannte eröffnete die 10. Ausgabe des Festivals.

Aber was ist so besonders an diesem Film? Nun, zu erst einmal begeistert mich als Film-Feministin das Thema, denn Regisseurin Isabell Šuba wirft einen sehr kritischen Blick auf die Geschlechterrollenverteilung im Filmbusiness allgemein und bei den Filmfestspielen von Cannes im Besonderen. Mindestens genauso interessant wie die Botschaft jedoch ist das Konzept des Films, die schwer zu definierende Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm. Zum Teil sind die Ereignisse “echt”: Die junge Regisseurin Isabell Šuba wird mit ihrem Kurzfilm Chica XX Mujer nach Cannes eingeladen. Gemeinsam mit ihrem Produzenten fliegt sie also zum bedeutendsten Filmfestival der Welt, um ihren Film dem Publikum zu präsentieren und das Konzept für ihren ersten Langfilm zu pitchen. Nur: Isabell Šuba ist gar nicht Isabell Šuba, sondern die Schauspielerin Anne Haug. Die echte Isabell Šuba akkreditiert sich unter falschem Namen als Filmstudentin, nimmt ein Filmteam mit nach Cannes und dreht einen Film über ihr irgendwie fiktives, aber eben doch auch reales Ich bei den Festspielen: Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste.

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Allein diese Idee ist schon Beifallsstürme wert, bildet sie doch einen Gegensatz zu allem, wofür Cannes steht: Selbstdarstellung, Rampenlicht und Blitzlichtgewitter. Um ihren Film zu drehen und die Farce aufrecht zu erhalten, verzichtet Isabell Šuba auf all das, denn sie ist ja für die Öffentlichkeit nun “nur” noch eine Filmstudentin. Respekteinflößend sind auch die Entstehungsbedingungen: 5 Drehtage, ein kleines Team, das unentgeltlich arbeitet, und die Unberechenbarkeit eines auf Improvisation fußenden Konzepts. Doch der Plan geht auf und am Ende steht ein Film, der sich trotz seiner Ecken und Kanten mehr als sehen lassen kann.

Zugegeben: In den ersten Filmminuten war ich enttäuscht. Die “falsche” Isabell und ihr Produzent David (gespielt vom echten Produzenten Matthias Weidenhöfer) ergehen sich in wilden Diskussionen über so ziemlich alles. David vermasselt jeden, aber wirklich jeden Termin und währenddessen hat Isabell an allem etwas auszusetzen. Das ist zugegebener Maßen ziemlich anstrengend, nicht nur für die Figuren, sondern auch für die Zuschauer:innen. Zudem empfand ich das Schauspiel zu Beginn als hölzern und wenig überzeugend. Kurzum: Der Film ließ mich kalt. Aber je länger ich all dem ausgesetzt war, desto mehr schienen all diese vermeintlichen Störfaktoren in einem sinnvollen System ineinanderzugreifen. Das hölzerne Schauspiel und die übertriebenen Feindseligkeiten schaffen eine kritische Distanz zum Inhalt. So richtig überzeugen tut uns das alles nicht. Trotz der dokumentarischen Kamera wirken die Ereignisse gestellt und künstlich. Und so gehen wir innerlich einen Schritt zurück und – zack – plötzlich sehen wir das große Ganze.

Isabell Šuba geht mit dem Thema Sexismus in Cannes viel subtiler um. Die meiste Zeit arbeitet sie ausschließlich auf der Bildebene, zeigt herausgeputzte Frauen am roten Teppich neben gefeierten Regisseuren. Besonders beeindruckend ist in dieser Hinsicht eine Partyszene, die so gefilmt ist, dass die Männer stets als Guckende, die Frauen als Angeguckte erscheinen. Aber all das ist so subtil gemacht, dass es den meisten Zuschauer:innen wohl nicht einmal auffällt. Auf der inhaltlichen Ebene nutzt Šuba ihren Produzenten, um so ziemlich jedes sexistische Klischee aufs Tablett zu bringen und daraus große Komik zu entwickeln. Insbesondere seine Äußerungen bezüglich Isabells Homosexualität sind von einer Absurdität, über die wir nur lachen können. Und spätestens im Akt des Lachens begreifen wir das in diesen Aussagen inhärente Maß an Idiotie. Die Sexismusdebatte um Cannes streut Šuba nur indirekt ein, wenn ihr fiktives Ich von einer Journalistin zu eben jenem Thema interviewt wird, dieses Gespräch jedoch an den anhaltenden Zankereien zwischen Regisseurin und Produzent scheitert.

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Statt also die moralisch-politische Keule zu schwingen oder Fakten auf den Tisch zu legen, vermittelt  Isabell Šuba ihre Botschaft absolut subtil. Sie will nicht mit Argumenten überzeugen, sondern etwas sichtbar machen. Deshalb braucht es auch die etwas spröde Form. Alles andere würde uns zu sehr aufsaugen und das Wesentliche übersehen lassen. Welche Meinung wir uns schließlich aufbauend auf diesen Eindrücken bilden, ist allein unsere Sache. Und gerade hierin liegt die große Stärke des Films.

Auch wenn Šuba ihr fiktives Alter-Ego an einer Stelle sagen lässt, das Buddymovie sei ein männliches Genre, ist Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste auf den ersten Blick genau das: ein herrlich unterhaltsames queeres Buddymovie. Aber – und das ist vielleicht das queere daran – dieses Buddymovie hat eine Menge zu sagen. Nicht nur über die hohle Selbstdarstellungsbühne Cannes oder den dortigen Sexismus, sondern auch über die Regeln der Filmindustrie allgemein. Es ist schlichtweg unmöglich, aus diesem Film nichts zu lernen, weshalb ich inständig hoffe, dass es für mich ein weiteres Wiedersehen im Rahmen eines bundesweiten Kinostarts geben wird.

Sophie Charlotte Rieger
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