FFMUC 2018: Von Bienen und Blumen

Ich bin ein Stadtkind, in Berlin geboren, aufgewachsen und noch immer wohnhaft. Vor etwa einem Jahr war ich dann das erste Mal in der Uckermark, einem Teil des durch Reinald Grebe zu Negativruhm gelangten Bundesland Brandenburg. Und ja, es war genauso menschenleer, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber es war auch unfassbar schön. Hach, dachte ich mir, hier ein Häuschen, einen Garten und ein paar Schafe…

Und mit dieser Sehnsucht bin ich nicht allein. Vielmehr scheine ich Teil eines größeren soziologischen Phänomens zu sein, nämlich dem, was Lola Randl in ihrem Dokumentarfilm Von Bienen und Blumen ironisch den „postkapitalistischen Stadtmenschen“ nennt. Ausgangspunkt der Erzählung ist sie selbst: Schon vor vielen Jahren ins ländliche Brandenburg gezogen, planen Lola Randl und ihr Lebensgefährte in diesem Film nun einen nachhaltigen Bauernhof, der auch als Refugium für gestresste Städter_innen dienen soll. Gemeinsam mit ihren Gästen wird durch vier Jahreszeiten hindurch Unkraut gejätet, gepflügt, gepflanzt und geerntet und der Utopie einer alternativen Lebensweise nachgejagt.

© Filmfest München 2018

Die Begegnung der kosmopolitischen Hipster mit der Natur und den Einheimischen im verschlafenen Gerswalde sorgt für so manchen Schmunzelmoment, der soziologische Kommentar für eine ironische Brechung und schmerzhafte Selbsterkenntnis zugleich. Denn viele der Beobachtungen, die das Voice Over in hoch wissenschaftlichen Termini formuliert, treffen den Nagel auf den Kopf und entlarven uns in all unserer postmodernen Eitelkeit.

Doch bei der Suche nach alternativen Lebensmodellen geht es nicht nur um Permakultur und biodynamische Selbstversorgung, sondern – wie die Zweideutigkeit des Titels charmant andeutet – auch um Beziehungen. Während Lola Randl die meiste Zeit hinter der Kamera agiert, spielt sich ihre ganz persönliche Geschichte zugleich auch davor ab. Zunächst sind es nur Andeutungen und geschickt montierte Ausflüge in die Welt der Tiere und Insekten, doch spätestens mit dem Auftritt der Paartherapeutin wird Von Bienen und Blumen auch zu einem Film über nicht-monogame Beziehungskonzepte. Kann die ménage à trois von Lola Randl und ihren beiden Lebensgefährten dauerhaft funktionieren?

© Filmfest München 2018

Zuweilen wirkt es, als sei die ganze Geschichte um den alternativen Bauernhof nur eine Bühne für diese indirekte Liebesgeschichte, als wäre es Randl schon immer nur um die Frage des menschlichen Miteinander gegangen. Dafür sprechen auch die ausgiebigen Bezüge auf die Telenovela Rote Rosen durch eine der einheimischen Protagonist_innen, die ausführlich über den chaotischen Beziehungsreigen in der ARD-Serie referiert.

Es sind also mindestens zwei Utopien, die Lola Randl in ihrem Dokumentarfilm verhandelt: die des Bauernhofs und die der polyamoren Liebe. Und vielleicht sind es sogar drei, denn auch auf formaler Ebene entfernt sich die Regisseurin von tradierten Pfaden. Wie viel dieser Geschichte ist tatsächlich so passiert? Wie viel reales Leben steckt in Von Bienen und Blumen? Fest steht, dass einige Elemente fiktiv sind: Beispielsweise ordnet der Film das soziologische Voice Over einer der Protagonistinnen zu, die ab und an tippend am Computer gezeigt wird. Tatsächlich aber schrieb Lola Randl diesen Text, gemeinsam mit anderen „Projektmenschen“, und das auch erst im Nachgang und nicht – wie es die filmische Narration suggeriert – währenddessen. Dennoch sagte die Regisseurin im Publikumsgespräch beim Filmfest München, dass sie in ihrem Werk selbst keine klare Linie zwischen Fakt und Fiktion ziehen könne.

© Filmfest München 2018

Ein Film, der aus sich selbst im Prozess entsteht, ebenso viel Fiktion wie Dokumentation enthält und daraus eine neue Form der Wahrhaftigkeit schafft – das klingt zumindest in meinen Ohren ebenfalls ein wenig utopisch. Doch Utopie oder nicht, Randls Film funktioniert, gibt Einblick in die Verwirklichung eines kleinen Städter_innentraums, ohne diesen zu idealisieren. Im brandenburgischen Outback ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Zum Landleben gehört auch das Schlachten von Tieren oder das Tratschen der Nachbar_innen. Und zur Polyamorie gehört auch jede Menge Beziehungsarbeit. So eine Utopie erschafft sich eben nicht von allein! Aber es ist gerade diese Ehrlichkeit, mit der Von Bienen und Blumen seine einladende Wirkung entfaltet. Ich zumindest möchte jetzt am liebsten meine Koffer packen und nach Gerswalde ziehen, auf den Permakultur-Bauernhof, um mich als „digitales Individuum“ wieder mehr der Natur anzunähern. Wer kommt mit?

Kinostart: März 2019

Sophie Charlotte Rieger
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