FFHH 2015: Das brandneue Testament mit alten Stereotypen

Wenn Gott eine Frau wäre, was würde das ändern? Mal abgesehen davon, dass Gott vermutlich überhaupt kein Geschlecht hat, ist das durchaus eine interessante Frage, auf die schon Dogma eine unterhaltsame Antwort gefunden hat. In Das brandneue Testament von Jaco van Dormael ist Gott zwar keine Frau, sondern ein ziemlich machohaftes Arschloch, aber er hat eine herzallerliebste Tochter, die die Zügel an sich reißt, die Welt auf den Kopf stellt und ein brandneues Testament schreiben lässt. Das ist alles herrlich komisch, nicht mehr oder minder absurd als Jungfrauengeburt und Brotvermehrung, unterhaltsam erzählt, verspielt inszeniert und tatsächlich berührend.

Aber leider auch ziemlich sexistisch.

Es beginnt schon mit der Genesis, wenn die kleine Ea (Pili Groyne) dem Publikum erzählt, wie das wirklich war mit der Schöpfung. Als hätte es Hollywood schon vor der Menschheit gegeben, ist Adam hier natürlich locker 20 Jahre älter als Eva. Immerhin sind beide gleichermaßen nackt, was sich wie wir wissen im späteren Verlauf der Menschheitsgeschichte und ihrer kulturellen Repräsentation deutlich ändern wird.

© Ricardo Vaz Palma

© Ricardo Vaz Palma

Eas Mutter (Yolande Moreau) ist zwar wie ihr Mann eine Göttin, aber auch eine stumme Hausfrau, deren Intellekt gerade mal dazu reicht, ihre Baseballkarten zu sortieren und Blumenmuster zu sticken. Während sich ihr Mann am Computer immer wieder etwas Neues einfallen lässt, um die Menschheit rein aus Jux und Dollerei noch ein bisschen mehr zu quälen, macht seine Frau den Haushalt. Und wehe, der Staubsauger ist zu laut!

Glücklicher Weise tritt Gottes Tochter in die Fußstapfen ihres Bruders J.C. und geht unter die Menschen, um Liebe und Frieden zu säen. Dabei sammelt sie sechs Apostel ein, die das brandneue Testament verfassen sollen.

Sechs ist ja eine Zahl, die sich recht einfach aufteilen lässt, um zumindest im heteronormen System der binären Geschlechtlichkeit der Zusammensetzung der Menschheit aus Frauen und Männern gerecht zu werden. Doch Das brandneue Testament entscheidet sich statt für eine quantitative für eine qualitative Repräsentation, nämlich für 3 Männer und zwei Frauen. Der_die sechste Apostel könnte als Transmädchen beschrieben werden.

© Fabrizio Maltese

© Fabrizio Maltese

Doch dazu später mehr, denn ich möchte zunächst die beiden Frauen in den Blick nehmen. Da wäre zum einen Aurélie (Laura Verlinden), deren Schönheit ihr einziges Charakteristikum zu sein scheint. Auch ihre Behinderung betont die fragile Körperlichkeit der Figur, der es eklatant an Innenleben mangelt. Die zweite Frau, Martine (Catherine Deneuve), wird als Romantikerin eingeführt, was freilich ein weiteres Klischee unterstreicht. Doch damit nicht genug: Martine füllt die offensichtliche Lücke in ihrem Leben durch die Apotheose der stereotypen Männlichkeit und beginnt eine Liebesbeziehung mit einem… Gorilla. Das ist natürlich einerseits nur eines der absurd-komischen Elemente dieses Films, andererseits aber auch eine stereotype Aussage über heterosexuelles Begehren. Stark muss der Mann sein, groß, wortkarg und natürlich sehr behaart.

© Fabrizio Maltese

© Fabrizio Maltese

Die sexistische Figurenzeichnung ist jedoch nicht auf die Protagonistinnen beschränkt. „Der Besessene“ (Serge Larivière) beispielsweise ist einer dieser schüchternen Lustmolche, dessen Sexualität sich ausschließlich in Piep-Shows abspielt – einem Ort, der wie sonst kein anderer Frauen auf ihren Körper reduziert. François (François Damiens) wiederum verliebt sich in eine junge Frau, als er sie aus purer Mordlust erschießen möchte, verfolgt sie nach Hause und kann dann durch Stalkertum ihr Herz erobern. Dass es romantisch ist, eine Frau ohne Signale ihrerseits zu belagern und zu bedrängen, ist eines der gefährlichsten Märchen des zeitgenössischen Kinos (siehe Twilight). Der Fairness halber sei hier aber auch noch der Intellektuelle Jean-Claude (Didier De Neck) genannt, dessen Charakterzeichnung erfreulicher Weise ohne Geschlechterklischees auskommt.

© Fabrizio Maltese

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Und dann ist da eben noch der kleine Willy (Romain Gelin), der sich entscheidet, ein Mädchen sein zu wollen. Bedauerlicher Weise besteht diese Geschlechtsumwandlung lediglich im Tragen eines Kleides, als gäbe es einen direkten Kausalzusammenhang zwischen Kleidung und Weiblichkeit. Schade ist auch, dass es sich tatsächlich um eine Verkleidung handelt, da Willy nie darüber spricht, ein Mädchen zu SEIN, sondern lediglich darüber, eins werden zu wollen. Das entzieht der angedeuteten Kinderliebesbeziehung zwischen Willy und Ea trauriger Weise ihr queeres Potential.

Am Ende gibt Das brandneue Testament dann schließlich doch eine Antwort darauf, wie es wäre, wenn Gott eine Frau wäre. Es wäre eine bessere Welt, voller Fantasie und Liebe. Aber leider auch mit einem Himmel aus verspielten Blumenmustern.

Kinostart: 3. Dezember 2015

Sophie Charlotte Rieger
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