DVD: A Girl Walks Home Alone At Night

Was ist cooler als eine Vampirin im Tschador? Genau: eine Vampirin im Taschador auf einem Skateboard. In ihrer düster-melancholischen Gruselromanze A Girl Walks Home Alone At Night verwandelt Ana Lily Amirpour den Tschador als Symbol der Unterdrückung in einen Vampirumhang und somit in ein Zeichen von Macht und Überlegenheit. Schnell erweist sich also auch der Titel als eine Finte: Denn hier geht es nicht um Jungfrauen in Gefahr – so wie das im klassischen Vampirfilm der Fall ist. Es sind nicht die Frauen, die in den nächtlichen Gassen bangen müssen, sondern die Männer.

In atmosphärischen schwarz-weiß Bildern und im Setting, das die Optik einer amerikanischen „Geisterstadt“ mit iranischen Inhalten verbindet, erzählt die Regisseurin eine außergewöhnliche Liebesgeschichte. Die männliche Hauptfigur Arash (Arash Marandi) ist dabei deutlich an James Dean bzw. seinen Charakter in …denn sie wissen nicht was sie tun angelehnt und sieht zudem im Profil James Franco zum Verwechseln ähnlich. Arash Marandi muss also eigentlich nur stumm im Bild stehen, um die Adoleszenzkrise seiner Figur zu vermitteln. Den Rest übernehmen unsere Assoziationen.

© Capelight

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Und so wie Amirpour hinsichtlich ihres Helden die Filmbildung des Publikums zur Charakterisierung schamlos voraussetzt, funktioniert auch die kleine namenlose Vampirin nur durch unser Vorwissen. Statt Erklärungen zu liefern vertraut die Filmemacherin darauf, dass ihre Zuschauer_innen die Grundregeln des Vampir-Genres bereits kennen: Leben in der Dunkelheit, Schnelligkeit, keine Nahrung außer Menschenblut…

Und es funktioniert. Ana Lily Amirpour zeigt, wie wenig es braucht, um gekonnt ein Horrorsetting zu inszenieren. Doch es wäre ungerecht, A Girl Walks Home Alone At Night auf dieses Genre zu beschränken. Vielmehr spielt der Film mit verschiedenen Formen, mischt Melodram mit Western und Film Noir. So facettenreich die Inszenierung, so bunt gemischt ist auch die Filmmusik. Mal traditionell, mal elektronisch – Amirpur sorgt immer wieder für eine Überraschung. Ihr Film hat Mut zur Skurrilität, die jedoch stets in vollendeter Schönheit zu Tage tritt.

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Die Skurrilität des Settings, die ominöse Mischung aus US-amerikanischer und iranischer Gesellschaft, ist auf die simple Tatsache zurückzuführen, dass Amirpour diesen Film natürlich nicht im Iran drehen konnte. Aber auch wenn das amerikanische Setting ihr deutlich mehr Freiheiten hinsichtlich der Darstellung von Gewalt und Sexualität bietet, bleibt die Regisseurin zurückhaltend. Statt plakativer Bilder entscheidet sie sich für Metaphern, arbeitet mit beispielsweise mit einem phallischen Finger für eine Kastrationsszene und einer Spritze für die Darstellung einer Vergewaltigung. Und es ist eben jene Zurückhaltung, die A Girl Walks Home Alone At Night seine Würde und Grazie schenkt.

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Ana Lily Amirpour nimmt sich viel Zeit. Insbesondere die Szenen einzelner Begegnungen werden in langen Einstellungen ausgespielt und erschaffen dabei eine dichte Atmosphäre, die uns Zuschauer_innen in ihren Bann zieht. Zauber- und märchenhaft wirkt plötzlich diese krude Liebesgeschichte in der wenig subtil benannten Geisterstadt „Bad City“. An einem Ort, der ohnehin verloren scheint, an dem Massengräber unkommentiert im Hintergrund existieren und die dekadente Oberklasse die mittellose Unterschicht missachtet und ausnutzt, sorgt die moralisch integre Vampirin für Recht und Ordnung. Gebissen wird nur, wer Schuld auf sich geladen hat. Leider geht Ana Lily Amirpour hier etwas zu kampffeministisch vor: Die männlichen Figuren bleiben größtenteils eindimensionale Bösewichte, deren amoralisches Handeln keinerlei Erklärung findet. Damit macht es sich Amirpour ein wenig zu einfach und raubt ihrem Film einen Teil seiner Durchschlagkraft.

Im Kern erzählt A Girl Walks Home Alone At Night die Geschichte zweier sozialer Außenseiter, die sich aus einem gesellschaftlichen Moloch befreien. Wie Bonny und Clyde, aber nur ein bisschen. Wie James Dean und Natalie Wood, aber nur ein bisschen. Im Gegensatz zu Dean in …denn, sie wissen nicht was sie tun (Originaltitel: Rebel Without A Cause) hat Arash hier durchaus einen „Grund“ zur Rebellion. Die Fehler im System wie auch das Versagen der Elterngeneration ist deutlich sichtbar.

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A Girl Walks Home Alone At Night ist ein Film des Auf- und Umbruchs. Ein Film, in dem eine Frau, die „Böses“ getan hat, trotzdem mit dem attraktiven Helden in die Dunkelheit brausen darf. Ein Film, in dem Vergewaltiger und erpresserische Drogendealer hingerichtet werden, während „gefallenen“ Frauen eine zweite Chance gegeben wird, ohne sie jemals als Opfer zu degradieren. Ein Film, in dem wir statt des männlichen den weiblichen Vampir-Blick des bedrohlichen Begehrens erleben. Ein Film, der nahezu alles richtig macht. Und die beste Filmkatze aller Zeiten gibt es noch als Bonus dazu.

Applaus!

Sophie Charlotte Rieger
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