Drei Gedanken zu: Assassination Nation

Weil ein Hacker in der US-amerikanischen Kleinstadt Salem private Daten wie Fotos, Emails und Kurznachrichten im Internet veröffentlicht, brechen Chaos und Selbstjustiz aus. Eine Gruppe junger, ausgesprochen selbstbewusster Mädchen* befindet sich plötzlich im Auge eines blutrünstigen Shitstorms, oder anders gesagt, einer Hexenjagd. Zeit für Drei Gedanken zu diesem grotesken Spektakel namens Assassination Nation.

© Universum

1. Ist Transparenz wirklich nur ein Fluch?

Alles beginnt damit, dass die Vorliebe des Bürgermeisters für Frauen*unterwäsche entlarvt wird. Als Folge des öffentlichen Drucks, der ohne Weiteres als aggressive Trans*phobie benannt werden kann, nimmt sich der Politiker das Leben. Wenig später gelangen die privaten Daten des Schulrektors an die Öffentlichkeit, darunter auch Fotos seiner dreijährigen Tochter in der Badewanne, die umgehend als Beweis für pädophile Neigungen gewertet werden.

Diese zwei Beispiele, mit denen die Eskalation beginnt, sind in meinen Augen denkbar schlecht gewählt. Insbesondere da sie Beispiele für sehr unterschiedliche Phänomene darstellen. Die Geschichte des Bürgermeisters macht Skepsis, Unverständnis bis hin zu Hass gegenüber Trans*personen auf eine lebensnahe Weise sichtbar, denn mit Sicherheit würde diese Enthüllung so manche_n Politiker_in auch im echten Leben zu Fall bringen. Zu Unrecht natürlich, denn welche Kleidung er in der Freizeit trägt, hat selbstredend keinerlei Einfluss auf seine politische Kompetenz!

Bei den Pädophilie-Vorwürfen gestaltet sich das Ganze schon etwas komplizierter. Zum Einen wird hier die Grenze zwischen Realismus und Groteske überschritten, denn solch unschuldige Bilder allein würden wohl nicht einmal im prüden Amerika zu einem vergleichbaren Skandal führen. Gleichzeitig bewegt sich der Film hier natürlich auf dünnem Eis, befördert er doch den Rektor in eine Opferposition, die den rape culture Mythos der Falschaussage konsolidiert.

Und nicht zuletzt: Im Gegensatz zu Damen*slips ist eine potentielle Neigung zu Pädophilie, so sie denn tatsächlich vorliegt, durchaus ein Grund insbesondere einen Schulrektor seines Amtes zu entheben. So wie auch versuchte Vergewaltigung ein Grund ist, einen Richter nicht in den Supreme Court zu berufen. In diesen Fällen ist ein Blick in das Privatleben der Autoritätsperson zur Beurteilung ihrer Qualifikation durchaus angebracht (wenn auch natürlich nicht in Form eines illegalen Hacks).

Außerdem ist die Nebeneinanderstellung der beiden ersten Hacker-Angriffe in Assassination Nation äußerst ungeschickt. Hier werden Trans*identität und Sex mit Kindern quasi in eine Schublade gepackt und das ist schlimmer als Äpfel und Birnen. Das ist in sich schon wieder Trans*feindlichkeit und keine Kritik derselben! Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass eine Trans*person (Hari Nef) zum Hauptcast gehört!

Die große Frage, die Assassination Nation hier formulieren könnte, wäre die nach dem Mehrwert von Transparenz. Wie viel darf privat sein und ab welchem Punkt hat die Öffentlichkeit oder doch zumindest die Justiz das Recht auf Einblicke? Wo ziehen wir die Grenze und wer bestimmt das?

Doch so wie eine Differenzierung zwischen den beiden ersten Tabubrüchen fehlt, so kommt auch diese spannende Frage in Assassination Nation eindeutig zu kurz. Das Internet mit all seinen Nebenwirkungen erscheint hier in einem eindimensional schlechten Licht. Auch im weiteren Verlauf des Films ist nicht eine einzige der durch den fiesen Hack publizierten Informationen von tatsächlichem Wert, niemals wird dabei eine tatsächliche Straftat aufgedeckt. Das moralische Dilemma, das mit dem Thema Transparenz einher geht, bleibt somit durch den Film vollständig unerforscht.

© Universum

2. Die Moral macht uns unmoralisch

Dass in den USA das Thema Sexualität mit deutlich mehr Tabus belegt ist als körperliche Gewalt, dass Sexszenen stärker zensiert werden als Gewaltdarstellungen, ist ein alter Hut. Ich erinnere mich noch gut, wie in meiner amerikanischen Gastfamilie Grundschulkinder Akte X schauten, aber auch nur beim Anflug einer Sexszene vom Fernseher wegbeordert wurden. Diese Doppelmoral macht Assassination Nation gerade heraus zum Thema. Gleichzeitig aber ist der Film überaus brutal und nutzt damit quasi die Legitimität graphischer Gewaltdarstellungen zu seinem eigenen Vorteil aus, um insbesondere die weiblichen* Hauptfiguren anschaulich leiden zu lassen. Doch dazu später mehr.

Ein Großteil der eskalierenden Gewalt des Films entspringt aus dem Tabu der Sexualität. Insbesondere die weibliche* selbstbestimmte Sexualität, beispielsweise wenn sie sich in selbst inszenierten Nacktbildern ausdrückt, löst Empörung aus. Und so kommt es, dass Hauptfigur Lily für die Affäre zu ihrem deutlich älteren Nachbarn sogar von den eigenen Eltern scharf verurteilt wird, während sich dieser keinen einzigen Vorwurf wegen der Verführung einer Minderjährigen anhören muss.

Der Film liefert zumindest für die eskalierende Gewalt eine brauchbare Erklärung: Hass ist nur eine Folge unserer eigenen Unfähigkeit, jene Regeln zu befolgen, die wir selbst aufgestellt haben. Denn was macht Nacktfotos eigentlich skandalös? Sie sind nicht intrinsisch peinlich oder unmoralisch. Die Gesellschaft und die von ihr vertretene Moral machen sie dazu. Und interessanter Weise sind es oft die größten Moralapostel_innen, die den Keller voller Leichen haben. Wo Sex tabuisiert oder gar verboten ist, scheint sexualisierte Gewalt besonders gut zu gedeihen. Ein Beispiel dafür sind die Missbrauchsfälle im Umfeld der katholischen Kirche oder anderer strenger Glaubensrichtungen.

Und so ist auch der Gewaltausbruch in Salem – im Film wie vielleicht auch zu Zeiten der Hexenverfolgung – eine Folge der Scham, für die Sündenböcke, bzw. Sündenziegen stellvertretend an den Pranger gestellt werden. Weil die Menschen an ihren eigenen moralischen Ansprüchen scheitern, reagieren sie mit umso größerer Aggression auf jene, die diese restriktiven Regeln außer Acht lassen. Scham für die eigene moralische Unzulänglichkeit und Neid auf die Freiheit der Anderen bilden eine explosive Mischung, an deren Ende nur noch die Gewalt als eine Katharsis stehen kann, eine stellvertretende Bestrafung, die sich eigentlich gegen die Aggressor_innen selbst richtet.

Dass so etwas wie Nacktfotos tatsächlich Karriere und Privatleben gefährden können, daran sind auch wir schuld: Du liebe_r Leser_in und ich. Jedes Mal, wenn wir Nacktheit oder konsensuelle Sexualität tabuisieren, mit Scham belegen, vertuschen und verdrängen, nähren wir genau jenes System. Das Gute daran: Somit liegt es auch in unserer Hand, etwas zu ändern. Beispielsweise das Aussehen von Frauen* nicht mehr zu kommentieren, kurze Röcke, tiefe Ausschnitte oder String-Tanga-Bikinis einfach nicht zum Thema zu machen. Oder auch sich aktiv darum zu bemühen, Menschen mit einer frei gelebten Sexualität nicht moralisch zu bewerten. Was kümmert es uns denn, was eine Person für Kleidung trägt und was sie mit wem und wie lange und wie oft in ihrem Schlafzimmer treibt? Und wer nackte Selfies von sich durch die Welt schickt, der hat keine Störung, sondern ein gesundes Selbstbewusstsein!

Wir können nichts daran ändern, dass es Menschen gibt, die andere gerne bloßstellen. Aber wir haben einen Einfluss darauf, ob eine Bloßstellung tatsächlich eine ist. Den Skandal nämlich machen im Zweifelsfalle wir (oder eben nicht!).

3. Ein Film über Feminismus braucht Frauen hinter der Kamera

© Universum

Zunächst das Positive: Trotz des Slut Shamings und der blutrünstigen Aggression gegen Mädchen* und Frauen*, die der Film recht anschaulich illustriert, gibt es keine einzige Vergewaltigungsszene! Einerseits befürworte ich diesen vorsichtigen Umgang mit dem Thema. Andererseits bin ich in diesem konkreten Fall etwas skeptisch, weil die Androhung von sexualisierter Gewalt gerade im Internet ein beliebtes Mittel ist, um weibliche* Stimmen einzuschüchtern. Nicht selten ist Vergewaltigung auch Teil des „Schlampendiskurses“: Wenn eine Frau* ihre Sexualität offen auslebt, dann ist das eine Einladung an JederMann*, sich ihrer zu bedienen. Sie will es doch auch! Sieht Mann* doch! Würde es also im Kontext eines Films über virtuell generierten Hass nicht doch Sinn machen, auch sexualisierte Gewalt zu thematisieren?

Ebenfalls hin und hergerissen bin ich in Hinblick auf die Triggerwarnung zum Anfang des Films. Einerseits informiert uns der schnelle Zusammenschnitt von Themen und Bildeindrücken über Aspekte, die einzelne Personen im Publikum retraumatisieren könnten. Gleichzeitig aber vermischen sich in dieser „Warnung“ ernst gemeinte Hinweise mit offensichtlich humoristischen. So beispielsweise die Ankündigung „fragiler männlicher Egos“, die als komödiantisches Moment nicht nur diese konkrete Triggerwarnung, sondern das Konzept Triggerwarnung im Allgemeinen lächerlich zu machen droht. Außerdem: Was hilft eine Triggerwarnung, wenn sie mit Motiven eben jener Trigger untermalt ist…?!

© Universum

Neben diesen Ungereimtheiten hat Assassination Nation ein weiteres gravierendes Problem: die eigene sexistische Bildsprache. Lily und ihre Freundinnen tragen ausschließlich Hot Pants und die Kamera liebt es, ihre Körper von unten nach oben abzumessen, auch – oder gerade dann – wenn sie sich in Situationen der Bedrohung oder Gewalt befinden. So gibt es eine immens verstörende Szene, in der die Kamera auf Lilys blutverschmierten Schenkeln schwelgt und damit die Perspektive ihres übergriffigen Nachbarn übernimmt. Auch eine völlig übersexualisierte Cheerleader-Performance lässt keinen Zweifel mehr daran aufkommen, wessen Blick wir hier nachvollziehen sollen: einen männlichen*. Und nur um das noch einmal zu betonen: Bei den Hauptfiguren handelt es sich um minderjährige Schulmädchen*! Sie als Sexobjekte zu inszenieren ist deutlich pädophiler als Fotos der dreijährigen Tochter in der Badewanne zu schießen. Das nur mal so anbei!

Sowohl für die Ungereimtheiten wie auch für den männlichen* Blick der Kamera gäbe es allerdings eine ganz einfach Lösung: Frauen*! Doch weder in der Regie, noch beim Drehbuch oder der Kamera, ja nicht einmal beim Schnitt, waren Frauen* beteiligt. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen: Ein vermeintlich feministischer Film über Mädchen* auf dem Kriegspfad gegen das moderne digitale Patriarchat ohne auch nur die Spur einer weiblichen* Handschrift. Wie blöd und betriebsblind kann ein Produktionsteam eigentlich sein? Aber keine Sorge, liebe Filmmenschen, es gibt ein Mittel gegen den sexistischen Tunnelblick: Die Quote! Ohne Rezept, frei erhältlich und mit der erquickenden Nebenwirkung besserer Filme!

Kinostart: 15. November 2018

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)