Das Berliner Pornfilmfestival 2018 – Sex für eine bessere Welt

Endlich wieder Pornos! Einmal im Jahr, und das ist tatsächlich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, schaue ich Pornos und zwar beim Pornfilmfestival Berlin. Das Festival gehört definitiv zu den Highlights meines beruflichen Alltags, ganz einfach weil die Atmosphäre und das Publikum einem Streicheln meiner queerfeministischen Seele gleichkommen. So schön bunt, so herrlich jenseits heteronormativer Strukturen und, ja, auch ziemlich sexy.

Wer während des Festivals meiner instagram-Story gefolgt ist, der hat bereits einen kleinen Einblick in mein diesjähriges Filmprogramm gewinnen können. Für alle anderen folgt nun die Zusammenfassung, warum mir Kannibal_innen zu langweilig sind, mich schwule Pornos tierisch anmachen und ich jetzt dringend Pole Dance lernen möchte!

Spielfilme – Ein lesbischer Roadtrip und blutige Fleischeslust

Im Eröffnungsfilm des Festivals, Hijas del Fuego von Albertina Carri, begibt sich ein lesbisches Liebespaar auf einen Roadtrip, während dessen es eine Gespielin nach der anderen einsammelt, um schließlich eine fulminante Orgie zu veranstalten. Der Film transzendiert permanent Genre-Grenzen, oszilliert zwischen Arthaus-Kino und Pornographie. Lange Dialoge und eine feministische Meta-Ebene im Voice Over sowie das Schwelgen in Landschaften und anderen eher ereignisarmen Settings erinnern an einen Spielfilm. Dann aber wieder dauert es wie im Pornoskript nach Lehrbuch nur zwei Minuten vom ersten Kennenlernen bis zum wilden Dreier.

Las Hijas del Fuego – Trailer Oficial from Gentil on Vimeo.

Die feministische Handschrift der Regisseurin ist klar zu erkennen. Die Körper sind vielfältig und ihre sexuellen Interaktionen zeigen ganze Menschen statt fragmentierter Gebeine und Genitalien. Orgasmen sind Teil der Szenen, aber bilden nicht zwangsläufig ihr Finale. Kurzum: Die Vielfalt sexueller Identitäten, Akteurinnen und Vorlieben steht im Zentrum der pornographischen Momente.

So richtig sexy mag das Ganze aber dann doch nicht werden und spannend ebenso wenig. Hijas del Fuego bricht permanent mit unseren Sehgewohnheiten und Erwartungen und gestaltet sich dadurch als große Herausforderung. Eine lohnenswerte, wie ich finde, die sowohl auf der inhaltlichen wie auch der formalen Ebene die spannende Frage darüber formuliert, wie wir Sexualität und Intimität erzählen können, ohne eine voyeuristische Perspektive einzunehmen.

Deutlich leichter einzuordnen, sowohl im Spielfilm wie auch im Genre-Segment, ist der brasilianische Splatterstreifen Clube dos canibais von Guto Parente. Irgendwie hatte ich mir von dieser Geschichte über die brasilianische Oberklasse, die ihre Hausangestellten verspeist, mehr versprochen. Die politische Botschaft über Dekadenz und Klassismus ist eigentlich in den ersten fünf Minuten auserzählt Darauf folgt ein weder besonders schockierendes noch originelles Schauspiel. Nicht dass ich ein Faible für Torture Porn hätte, aber wenn schon ein Film über Kannibalismus als Metapher für eine perverse Gesellschaft, dann doch bitte mit deutlich mehr Perversion!

Dokus – Inspirierende Frauen* und erschütternde Wahrheiten

Beim Pornfilmfestival gibt es, so würde ich das formulieren, zwei Arten von Dokumentarfilmen. Die eine Sorte lässt uns große Augen machen, inspiriert uns oder eröffnet uns ungeahnte sexuelle Sphären. Die andere Sorte deprimiert, schockiert oder macht wütend. Und aus beiden Kategorien habe ich Beispiele mitgebracht.

Kommen wir erst zu den schönen Dingen oder besser gesagt zu einer besonderen und dazu noch besonders schönen Frau*: Linn de Quebrada. Es gibt wohl Menschen, die sie als Trans*person beschreiben würde. Sie selbst spricht von sich in ihrem filmischen Portrait Bixa Travesty von Claudia Priscilla und Kiko Golfman allerdings wiederholt als Cis-Frau. Die queere Performerin aus Brasilien ist eine Inspiration durch und durch, beeindruckt mit ihrer Liebe zu sich selbst, ihren klugen Analysen des aktuellen Gender-Diskurses, ihren kraftvollen Performances, aber auch ihrer Verletzlichkeit. Bixa Travesty hat dieses Jahr bei der Berlinale den Teddy Award erhalten – völlig zurecht, denn der Film überzeugt nicht nur inhaltlich, sondern auch formal durch die gelungene Montage, die die einzelnen Facetten der Persönlichkeit Quebradas zu einem greifbaren Gesamtbild zusammensetzt. Danach möchte mensch Linn da Quebrada heiraten. Oder ihr doch zumindest auf instagram folgen. Das dürfte auch einfacher sein.

Ebenso inspirierend und beflügelnd ist My Erotic Body, in dem Regisseurin Michele Beck ihre Pole Dance Gruppe dokumentiert. Anhand ihrer eigenen Geschichte veranschaulicht sie, wie der Schutzraum des Tanzstudios den teilnehmenden Frauen* einen neuen Zugang zu ihrem Körper und ihrer Sexualität eröffnet. Hoch erotische Performances alter und junger, weißer und Schwarzer, dicker und dünner Körper im Dämmerlicht bezaubern und faszinieren, machen Lust, sich selbst in sexy Unterwäsche um eine Pole Stange zu wickeln. Insbesondere da sowohl auf inhaltlicher wie auch formaler Ebene der männliche* Blick vollkommen fehlt. Die Erotik existiert zum Selbstzweck, ist nicht für die Partner der portraitierten Frauen* oder den männlich*-heterosexuellen Blick der Kinozuschauer, sondern ausschließlich für die Performerinnen selbst da. Ohne das bewertende Auge entsteht eine neue Freiheit, ein Genießen und Zelebrieren weiblicher* Körperlichkeit, die Michele Beck mit ihrem intimen Film einzufangen vermag. Berauschend!

My Fucking Problem Teaser – English subs from Anne van Campenhout on Vimeo.

Wie angekündigt boten aber nicht alle Dokumentarfilme Grund zur Freude. So richtete beispielsweise My Fucking Problem den Blick auf ein größtenteils tabuisiertes Phänomen des weiblichen Körpers: den Vaginismus. Betroffene Frauen* empfinden starke Schmerzen, sobald etwas in ihre Vagina eingeführt wird – seien es Tampons, gynäkologische Geräte oder eben Penisse. Geschlechtsverkehr ist somit unmöglich. My Fucking Problem ist ein persönlicher Film, in dem sich Regisseurin Anne von Campenhout mit ihrem eigenen Vaginismus auseinandersetzt: Gibt es eine Möglichkeit der Heilung? Braucht sie überhaupt penetrativen Geschlechtsverkehr? Und wie gehen andere Frauen* damit um? Die größte Stärke des Films aber ist in meinen Augen die eher implizite Frage danach, weshalb Penetration in unserer Sexualität einen so großen Stellenwert hat und ob nicht hier der Krankheitsbegriff selbst die Folge einer männlich* dominierten Vorstellung von Sexualität darstellt.

Weniger überzeugend, weil für mein Empfinden zu konventionell inszeniert, beziehungsweise ohne persönliche Note ein wenig blutleer, stellten sich die Filme Everything Is Better Than A Hooker und Cárceles Bolleras dar. In ersterem rollt die französische Regisseurin Ovidie den Mordfall an einer schwedischen Sexarbeiterin auf und zeigt die zutiefst diskriminierenden Strukturen der Justiz im Vorzeigeland Schweden. Cárceleres Bolleras von Cecilia Montagut wirft einen Blick auf lesbische Beziehungen in spanischen Frauen*gefängnissen. Weshalb verlieben sich dort Frauen* in Frauen*, die sich in Freiheit als heterosexuell beschreiben? Könnte es vielleicht sein, dass in der Unfreiheit auch eine Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen liegt?

Pornos – Sex für eine bessere Welt

Last but not least habe ich natürlich auch Pornos gesehen und – wie mir dann rückblickend auffiel – darunter nicht einen einzigen heterosexuellen. Überhaupt habe ich während des gesamten Festivals, außer in den Sponsoring-Clips vor den Filmen, nicht einen einzigen Penis in einer Vagina gesehen. Nun frage ich mich, ob das etwas mit meiner Filmauswahl zu tun hat oder das Festival nicht vielleicht doch auch als Ganzes stärker in eine queere Richtung driftet und – andersherum als in der realen Welt außerhalb des Kinos – heterosexuelle Erotik in eine Nische verbannt. Was ich übrigens grundsätzlich gut fände.

Die größte Überraschung für mich war der neue Film von Bruce La Bruce mit dem vielversprechenden Titel It’s Not The Pornographer That Is Perverse, der freilich eine Anspielung auf Rosa von Praunheim darstellt (Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt). Meine Überraschung hatte keinerlei formale Gründe: Es handelt sich um vier kurze Pornofilme mit schwulen Inhalten – so weit bei Bruce La Bruce ziemlich erwartbar. Zwei der Episoden spielen in Madrid, zwei spielen in Berlin. Sie sind durchzogen von einem herrlich bissigen Humor, der in der vorletzten Episode durch die „Purple Army Faction“ auf die Spitze getrieben wird, die mit dem Slogan „Save the Planet! Go Gay“ mit vollem Körpereinsatz gegen die Überbevölkerung vorgeht. Meine Überraschung bestand schließlich darin, dass der Film nicht nur wahnsinnig unterhaltsam, sondern auch für eine Cis-Frau wie mich unheimlich erotisch war. Ja, ich würde behaupten, It’s Not The Pornographer That Is Perverse gehört zu den erregendsten Pornos, die ich jemals gesehen habe. Das liegt, so meine Theorie, schlicht und einfach daran, dass Männer* ausnahmsweise mal als Objekte der Begierde inszeniert werden – und wie! Also: Mut zum Schwulenporno. Und save the Planet!

Fucking Against Fascism © Troublefilms

Die Welt retten wollen auch Chelsea Poe und Courtney Trouble mit Fucking Against Fascism, ebenfalls eine Zusammenstellung pornographischer Kurzfilme, mit ausschließlich weiblichen* Performerinnen. In klassisch feministisch-pornographischer Manier wird hier viel Wert auf safer sex und consent gelegt, wenn sich unterschiedliche Frauen*körper im wahrsten Sinne des Wortes fröhlich miteinander vereinigen. Und wie oftmals bei Chelsea Poe erinnert die zuweilen experimentelle formale Ebene an Musikvideos. Das Bild wird zerstückelt, zusammengesetzt und schafft neue visuelle Eindrücke. Das Politische an diesem Unternehmen ist die Verwertung des Films: Ein Drittel der Gewinne spenden die Macherinnen an soziale Projekte, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Wenn das kein Grund ist, für Pornographie zu bezahlen (was ihr sowieso immer tun solltet, aber dazu später mehr)!

Am meisten fieberte ich dieses Jahr der Fortsetzung Second Shutter von Goodyn Green entgegen und auch wenn ich den Vorgänger, Shutter, insgesamt abwechslungsreicher fand, hat mich auch der aktuelle Filme sehr begeistert. Wie in den zuvor erwähnten Filmen handelt es sich auch hier um eine Aneinanderreihung einzelner Kurzfilme, in denen sich Frauen* in unterschiedlichen Kontexten und auf unterschiedliche Weise sexuell begegnen. Ähnlich wie in Fucking Against Fascism ist der Spaß der Performerinnen spürbar, insbesondere in der letzten Episode, in der sich ein Paar in der Küche vergnügt. Und dabei lernen wir gleich noch praktische DIY-Verhütungstipps. Applaus, Applaus! So muss ein guter Porno sein!

Nachsatz: Warum queer-feministische Pornographie wichtig und nie umsonst ist

Wie lernen wir Sex? Viele Menschen beziehen ihr Wissen über Sexualität aus Pornographie. Bedauerlicher Weise handelt es sich dabei in der Regel um Mainstream-Pornographie die unrealistische Körper in unrealistischen Posen zeigt und zudem Frauen* in der Regel auf Objekte reduziert. Zudem gehen unglaublich viele Spielformen verloren, nämlich so ziemlich alles, was jenseits klassischer Penis-Vagina-Penetration rangiert. Queerfeministische Pornographie zeigt uns andere Formen des Begehrens, eröffnet den Möglichkeitsraum und zeigt vor allem, wie einvernehmliche und eine für alle Beteiligten erfüllende Sexualität funktioniert. Queerfeministische Pornographie ist damit nicht nur sexy, sondern auch bildend. Ich würde sogar so weit gehen zu fordern, statt Aufklärungsunterricht sollten Jugendliche, von mir aus ab 18, in der Oberschule queerfeministische Pornos schauen!

© Gentil

Queerfeministische Pornos haben auch hinter der Kamera eine Politik, die auf Einverständnis und Gleichberechtigung basiert. Beteiligte sollen fair entlohnt, Ausbeutung vermieden werden und natürlich alles, „safe, sane, consensual“ ablaufen. Das kostet Geld. Und es ist auch vollkommen in Ordnung, dass Pornographie Geld kostet – so wie einfach alles, für das Menschen hart gearbeitet haben. Als verantwortungsvolle Konsument_innen sollten wir dem Rechnung tragen. Zudem unterstützen wir durch das Bezahlen ethischer Pornos auch eine alternative Sexindustrie jenseits von patriarchalen Machtstrukturen und der mit ihr verbundenen Gewalt. Für die genaueren und schockierenden Zusammenhänge zwischen dem Konsum kostenloser Pornos und der Ausbeutung von beziehungsweise Gewalt gegen Performerinnen empfehle ich übrigens Ovidies Dokumentarfilm Pornocracy (unter anderem bei Amazon als VoD erhältlich).

Und weil die meisten Menschen gar nicht wissen, wo und wie sie für gute Pornos bezahlen können, habe ich mal ein paar Webseiten herausgesucht. Gerne könnt ihr in den Kommentaren eigene Tipps posten und ich füge sie dann hier dazu.

Sophie Charlotte Rieger
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