Blackfish – Rettet die Wale… und ihre Trainer:innen

© NFP

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Spätestens seit Free Willy haben die Killerwale den Delphinen den Rang abgelaufen und lassen nun Kinder und Elternherzen höher schlagen. Und die modernen Vergnügungsparks sind ja auch viel verantwortungsvoller beim Thema artgerechte Haltung. Ich zumindest habe das geglaubt, als ich ca. 2009 den Loro Parque auf Teneriffa besuchte, um mir erstmals Killerwale live und in Farbe in ihrer groß angelegten Show anzusehen. Das macht den Tieren doch auch Spaß, oder?!

Nein, macht es nicht. Und das ist nur eines von vielen als gefährliches Halbwissen getarnten Vorurteile, die Regisseurin Gabriela Cowperthwaite in ihrem Dokumentarfilm Blackfish widerlegt. Im Fokus steht die Themenpark-Kette SeaWorld, die immer wieder durch Übergriffe von Killerwalen auf Tiertrainer:innen negative Schlagzeilen machte und der es trotzdem gelang, die negative Publicity in erstaunlich engen Grenzen zu halten. Anhand des Falles von Dawn Brancheau, die 2010 einem ebensolchen „Unfall“ zum Opfer fiel, rollt Cowperthwaite die Lebensgeschichten des Walbullen Tilikum auf, lässt ehemalige Trainer_innen und Augenzeugen zu Wort kommen und unternimmt damit den Versuch, dieses schreckliche Ereignis zu ergründen.

Es ist berührend wie die ehemaligen Betreuer_innen Tilikums während ihrer Interviews von starken Emotionen überrollt werden. Da ist kaum ein:e Gesprächspartner:in, di:er keine Träne verdrückt, wenn si:er vom Martyrium der Orcas erzählt. Doch die Ex-Trainer_innen verstecken sich hinter jugendlicher Naivität, Desinformation oder auch der Hilfsbereitschaft ihren Schützlingen gegenüber, als hinge es ausschließlich an ihnen, die Gefangenschaft von Tilikum angenehmer zu gestalten. Doch die Maskerade funktioniert: Wir fühlen Mitleid und fällen keine Urteile. Diese Menschen tragen ganz offensichtlich keine Schuld an Tilikums untypischem aggressivem Verhalten und dem Tod mehrerer Trainer_innen. Aber wer dann?

Interessanter Weise widmet Gabriela Cowperthwaite dem biologischen Standpunkt nur wenig Aufmerksamkeit. Eine Neurologin kommt zu Wort, erklärt uns die Komplexität des Walgehirns und die starke emotionale Bindung der Tiere, die weitaus stärker ausgeprägt ist als beim Menschen selbst. Ein paar Fachleute melden sich hier und da. Doch das sind alles nur Nebenschauplätze für einen ganz anderen Aspekt der tragischen Ereignisse. Im Fokus steht der Kampf einer Gewerkschaft, die das Unternehmen SeaWorld als den Hauptverantwortlichen für die Übergriffe versteht und daher veränderte Arbeitsbedingungen für die Tiertrainer_innen durchsetzen möchte. Ja genau, bei diesem Gerichtsverfahren geht es nicht um die Wale, es geht wieder einmal um die Menschen.

Und tatsächlich sehen wir mindestens genau so oft Fotos und Videoaufnahmen der verstorbenen Trainer_innen, durchweg junge und natürlich – so ihre Kolleg_innen – sehr begabte und freundliche Menschen, wie wir Tilikum und seine Artgenossen in ihren viel zu kleinen Becken betrachten. Die Menschen werden hier ebenso stark in die Opferposition gerückt wie die Orcas. Das ist irritierend, denn während erstere ihren Beruf, wenn auch leichtsinnig so doch selbst gewählt haben, gibt es sicherlich keinen Killerwal, der sich freiwillig für das Leben in Gefangenschaft gemeldet hat. Der Gewerkschaftsstreit macht Blackfish zu einem sehr amerikanischen Film, der lieber ein Unternehmen als personalisierten Schuldigen definiert, als auf die vielen Menschen einzugehen, die das System SeaWorld am Leben erhalten. Denn diese Menschen sind wir!

Immerhin sind die Interviews so berührend, die kurzen Schilderungen der Experten so prägnant und Augen öffnend, dass wohl niemand, der Blackfish gesehen hat jemals wieder SeaWorld oder den Loro Parque auf Teneriffa betreten wird. Ob damit Tilikum und seinen Leidensgenoss_innen geholfen ist, bleibt eine offene Frage, aber ich kann aus voller Überzeugung sagen, dass meine erste Orca-Show auch meine letzte gewesen ist.

Kinostart: 7. November 2013

Sophie Charlotte Rieger
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