Berlinale: Feelings Are Facts – The Life of Yvonne Rainer

Ich bin immer auf der Suche nach beeindruckenden Frauen, deren Leben und Wirken mir noch unbekannt sind. Denn sie faszinieren, inspirieren und motivieren mich – auf professioneller wie auch auf privater Ebene. Beim Durchstörbern des Programms für die Berlinale 2015 weckte Feelings Are Facts, ein Dokumentarfilm über Yvonne Rainer, deshalb umgehend mein Interesse. Rainer ist nicht nur eine Filmlöwin, sondern hat auch den modernen Tanz revolutioniert. Und da ich mich neben dem Medium Film auch sehr für Tanz begeistern kann, wollte ich unbedingt mehr über diese Frau erfahren.

© Yvonne Rainer

© Yvonne Rainer

Leider gelingt es Regisseur Jack Walsh nur sehr begrenzt, dem Publikum die Hauptfigur seines Dokumentarfilms nahe zu bringen. Vielleicht liegt es an der Künstlerin Rainer selbst, die – zumindest in den gezeigten Interviews – recht spröde und unnahbar wirkt. Vielleicht aber ist es auch die sehr konservative, um nicht zu sagen ermüdend einfallslose Inszenierung, die hier einen Stolperstein zwischen Zuschauer_in und Protagonistin darstellt. In meist chronologischer Abfolge montiert Walsh Archivmaterial, Filmausschnitte, Interviews und jüngere Performances sowie Wiederaufführungen von Rainers „Klassikern“ aneinander. Dabei behandelt er die einzelnen Lebensstationen der vorgestellten Künstlerin sehr gleichberechtigt und setzt keinen Fokus auf einen einzelnen Aspekt ihres Wirkens. Somit aber fehlt dem Film neben der biographischen Chronologie ein roter Faden. Die einzelnen Stationen werden mehr abgehandelt, als dass sie Faszination für die verschiedenen Werke auslösten. Walsh versorgt das Kinopublikum mit Informationen, geht dabei jedoch nicht in die Tiefe. Ebenso wenig gelingt es ihm, in seiner eigenen Inszenierung den schöpferischen Geist Yvonnes Rainers widerzuspiegeln. Feelings Are Facts: The Life of Yvonne Rainer ist infolgedessen nicht halb so faszinierend wie die kurzen Einblicke in ihr filmisches Wirken.

Aber woran liegt es, dass hier keine Faszination entsteht, keine Ehrfurcht vor der Künstlerin? Die Antwort liegt in ihrer Isolation. Zwar heißt es, Yvonne Rainer habe den modernen Tanz revolutioniert, doch fehlt eine Veranschaulichung ihres Einflusses. Inwiefern ist denn ihre Arbeit aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts heute im zeitgenössischen Tanz noch sichtbar? Wo sind ihre Spuren? Die verschiedenen Interviewpartner_innen sowie Rainer selbst beschreiben zwar die Besonderheit ihrer Performances, die starke Reduktion ihres Tanzes auf die Beobachtung der menschlichen Physis und ihrer Bewegungen, doch fehlt eine tanzhistorische Einordnung, die über die kurz erwähnte Abgrenzung von Martha Graham hinausgeht. So kann der Zuschauer nicht ermessen, wie einflussreich oder bedeutend die Arbeit von Yvonne Rainer tatsächlich (gewesen) ist.

Ähnlich verhält es sich mit ihren Experimentalfilmen. Auch hier folgt ein Ausschnitt nach dem anderen, stets kommentiert von der Künstlerin und den Mitwirkenden, doch es entsteht kein Bild von der Filmemacherin Yvonne Rainer und ihrer künstlerischen Stoßrichtung. Da insbesondere Rainers spätere Filme sehr persönliche Themen verhandeln – sie verarbeitet darin beispielsweise ihr homosexuelles Outing und ihre Brustkrebserkrankung – entsteht zudem ein großes Interesse für die Privatperson Yvonne Rainer, die Jack Walsh seinem Publikum jedoch weitgehend vorenthält.

© Jack Walsh

© Jack Walsh

Die Person Yvonne Rainer, die wir in Feelings Are Facts vor der Kamera erleben, bleibt merkwürdig von ihrem Schaffen losgelöst. Erst ganz am Ende, als Rainer mit weit über 70 wieder den Weg zurück zum Bühnentanz findet, verbinden sich die erzählende und die erzählte Figur leicht miteinander. Es ist keine Fusion, mehr ein schablonenartiges Übereinanderlegen, das aber immerhin einen kleinen Funken jener Faszination und Bewunderung produziert, den der vorgehende Film vermissen lässt.

Am Ende reicht es aber nicht. Zu einfallslos, zu „08/15“ ist Jack Walshs Inszenierung. Weder der Dokumentarfilm selbst noch sein „Objekt“ können begeistern, was ganz nebenbei auch Zweifel an der Programmierung der Berlinale-Sektion Panorama aufwirft. Aber das nur am Rande.

Jack Walsh hat Yvonne Rainer einen ganzen Film gewidmet. Insofern ist eine gewisse Begeisterung seinerseits für ihre Person und ihr Wirken als sehr wahrscheinlich anzunehmen. In seinem filmischen Potrait ist davon aber leider nichts zu spüren. Feelings Are Facts wirkt, als habe jemand Jack Walsh gebeten, einen Film über „diese moderne Tänzerin, die später auch Filme gemacht hat“ zu drehen. Und das hat er gemacht. Genau das. Schade.

Aufführungstermine auf der Berlinale 2015
Sophie Charlotte Rieger
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