Berlinale 2018: Unsane

Dieser Text erzählt euch nichts darüber, ob Steven Soderberghs neuer Film Unsane ein gelungenes Stück Genre-Kino ist. Er erzählt euch auch nichts darüber, ob es neben der entsprechenden Publicity irgendeinen Sinn gehabt hat, den Film mit einem iPhone zu drehen. Stattdessen formuliert dieser Text Gedanken zur Darstellung psychisch kranker Frauen*figuren auf der Leinwand. Wenn Dich das nicht interessiert, weil Du ein Soderbergh Fan bist und den Meister nicht in Frage stellen möchtest oder Dich einfach nicht für diesen Aspekt interessierst, dann tu uns beiden einen Gefallen und höre hier einfach auf zu lesen. Danke.

Und weil es nicht darum geht, Dich liebe_r Leser_in auf diesen Film neugierig zu machen, enthält der folgende Text massive Spoiler (auch wenn ich persönlich der Meinung bin, dass Unsane nicht gespoilert werden kann, weil er dafür viel zu vorhersehbar ist – aber da gehen die Meinungen auseinander). Dieser Text ist also dazu gedacht, ihn NACH dem Kinobesuch zu lesen. Oder aber für Menschen, die sich den Film – aus welchen Gründen auch immer – ohnehin nicht ansehen, sich aber für die Verhandlung von „Hysterie“ im Film interessieren.

Also noch mal und damit am Ende keine_r heult: Achtung SPOILER.

„You’re upset. Take These.“

Ich möchte meine Betrachtung mit den Dingen beginnen, die mir an Unsane gefallen haben. Zunächst einmal der Titel: Das Wort „unsane“ gibt es nicht. Das Gegenteil von „sane“ – also (geistig) gesund, wäre im Englisch „insane“. Ich interpretiere den Kunstbegriff „unsane“ wie das deutsche „ungesund“, also schädlich, der Gesundheit abträglich. Damit ist die klare Definition eines kranken und gesunden Zustandes, auf der das System der Psychiatrie basiert, ausgehebelt und somit der pathologische Begriff der „Hysterie“ ebenfalls.

Wahn steht im Zentrum dieser sehr klassischen Genre-Story einer jungen Frau*, die gegen ihren Willen in der Psychiatrie landet, weil ihre Wahrheit als Irrsinn abgestempelt wird. Dann folgt die klassische Zwickmühle: Je mehr Sawyer (Claire Foy) sich gegen diese Freiheitsberaubung wehrt, desto „hysterischer“ wirkt sie. Dass „Hysterie“ nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern dass es sich um eine Form der Gegenwehr in einem repressiven System handelt, macht Steven Soderbergh mit seinem Film unmissverständlich klar. Sawyer erhält keine Hilfe, sondern Beruhigungsmittel.

© Fingerprint Releasing / Bleecker Street

Zugegeben: Ihre Glaubwürdigkeit krankt beträchtlich an der Tatsache, dass sie in einem der Pfleger ihren ehemaligen Stalker wiederzuerkennen glaubt. Der Flashback auf die vergangenen Ereignisse bietet einen komödiantischen Auftritt Matt Damons als Spezialist für verfolgte Frauen*. Wenn er Sawyer komplexe Sicherheitssysteme für die Wohnung und präventive Verhaltensregeln aufschwatzen will, demonstriert er damit eindrucksvoll die Absurdität einer Rape Culture, die lieber Frauen* erzählt, wie lang ihre Röcke sein dürfen, als Vergewaltiger strafrechtlich zu verfolgen.

Sexuelle Belästigung spielt in Unsane an mehreren Stellen eine Rolle und ist für uns immer klar als solche erkennbar, während sie innerhalb der Geschichte in der Regel negiert wird. Der Film zeigt also, und das nicht sonderlich subtil, eine Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt nicht mit der notwendigen Konsequenz geahndet und Frauen* stattdessen pathologisiert werden. Dabei sind Sexismus und Kapitalismus eng miteinander verzahnt, wenn das Krankenhaus von den grundlos festgehaltenen Patientinnen finanziell profitiert.

Unsane könnte also ein Film sein, der Genre Regeln geschickt nutzt, um ein kritisches Bild der Gesellschaft zu zeichnen. Ist er aber nicht.

„The Gift of Fear“

Der Film beginnt mit einem männlichen* Voice Over, das seine Begeisterung für eine Frau* zum Ausdruck bringt. Tonfall und Wortwahl deuten bereits daraufhin, dass es sich hier nicht um eine einvernehmliche Liebesgeschichte handelt. Und auch die Kameraperspektive, die im Folgenden Sawyer in ihrem Alltag begleitet, suggeriert einen heimlichen Beobachter. Es besteht also im Grunde von Anfang an wenig Zweifel daran, dass es einen Stalker gibt oder gegeben habt. Fraglich bleibt lediglich, ob dieser Stalker tatsächlich wie von Sawyer behauptet in der Psychiatrie arbeitet. Sobald dann auch diese Frage beantwortet, also die Spannung des „Wahn oder Nicht-Wahn“ aufgelöst ist, bleibt nur noch der Voyeurismus auf die Pein der Figur. Und dafür ist nach der Auflösung noch jede Menge Zeit, was wiederum die Vermutung nahelegt, dass es Soderbergh weniger um psychologischen Suspense als um „Torture Porn“, also die Lust am Leid geht.

Die Idee weiblicher* „Hysterie“ erfährt aus den eingangs erwähnten Gründen durchaus eine Kritik. An anderer Stelle allerdings bestätigt Soderbergh mit seiner Figur rape culture Stereotypen. So beobachten wir Sawyer bei einem Tinder-Date, im Zuge dessen sie selbstbewusst und entschieden zur Sache geht, ihr Gegenüber mit eindeutiger Absicht in ihr Apartment lockt, nur um dann urplötzlich und für den armen Mann* völlig unverständlich „hysterisch“ im Bad zu verschwinden. Ein Klassiker: Die Frau* sagt, sie will es und dann urplötzlich überlegt sie es sich anders und rastet total aus. Klar, passiert ständig. Höre ich tatsächlich manchmal. Aber nur von Männern*. Das völlig unvorhersehbare und emotional aufgeladene Abbrechen einer sexuellen Interaktion ist ein Mythos. Das heißt nicht, Situationen wie diese würden nie entstehen. Sondern das heißt: In der Regel ist Menschen durchaus anzumerken, wenn sie sich unsicher fühlen und emotionale Reaktionen sind meist die Folge von vehement ignorierten subtileren Formen der Grenzziehung. Die Eskalation von Sawyers Tinder-Date ist also eine Bestätigung des realitätsverzerrenden „und urplötzlich wollte sie nicht mehr“-Mythos.

Schwierig ist für mein Empfinden auch die Tatsache, dass Sawyers Handlungen in der Psychiatrie nicht immer nachvollziehbar sind. Zum Teil ergeben sich ihre Aggressionen aus der Notsituation, zum Teil aber sind sie so impulsiv und scheinbar grundlos, dass wir Sawyers Geisteszustand ebenfalls anzuzweifeln beginnen. Allerdings nicht im Zuge des Spannungsaufbaus (ist sie paranoid oder ist wirklich jemand hinter ihr her?), denn wir wissen ja bereits seit der ersten Minute, dass es einen Stalker gibt, sondern auf eine respektlose Art und Weise. Ihre Reaktionen wirken grundlos und pathologisch – in anderen Worten: hysterisch.

Unsane trägt auch zu jener Kultur der Angst bei, die der Film zu kritisieren scheint. „The Gift of Fear“ ist das Buch, das Anti-Stalking-Coach Matt Damon Sawyer ans Herz legt. Und „The Gift of Fear“ ist auch der Film, den Soderbergh uns hier verkauft. Denn er erzählt die Geschichte einer Frau*, die real verfolgt wird, der niemand glaubt, die bei dem Versuch, sich Hilfe zu holen, zwangseingewiesen und ihrer Freiheit beraubt wird und die bis zur allerletzten Filmminute das Trauma dieser Erlebnisse nicht überwinden kann. Der Film zeigt also ein Opfer von misogynen und sexistischen Strukturen, ohne einen Ausweg anzubieten, und fordert uns stattdessen dazu auf, uns am Leid der Frau* zu ergötzen. Darüber hinaus demonstriert er Frauen*, dass ihre Geschichten ohnehin nicht gehört werden und es somit gefährlich ist, zu erzählen. Das ist, grob gesprochen, Silencing.

© Fingerprint Releasing / Bleecker Street

Was Sawyer passiert, ist ein absoluter Albtraum. Nicht nur, dass sie ihrer Freiheit beraubt wird, sie ist zu allem Übel auch noch schutzlos ihrem Stalker ausgeliefert. Der Psychoterror, den sie durchleidet, müsste unerträglich sein. Der Film allerdings ist es nicht, er ist sogar ziemlich unterhaltsam. Es darf gelacht und natürlich prächtig mitgefiebert werden. Ach, es macht ja so großen Spaß, psychischer und physischer Gewalt an Frauen* zuzuschauen.

Nein. Misogynie ist kein Entertainment. Es ist nahezu ein Schlag ins Gesicht, dass Steven Soderbergh einerseits mit dem Zaunpfahl auf sexistische Gesellschaftsstrukturen hinweist, uns aber gleichzeitig zu Kompliz_innen macht, die sich den gefühlt millionsten Film über eine vermeintlich verrückte Frau* angucken, die – wie sich herausstellt – nicht paranoid, sondern tatsächlich in Gefahr ist. Seit Jahrzehnten lernen wir in diesen Genre-Filmen, dass wir Frauen* glauben sollten und doch hält sich das Motiv der Hysterikerin wacker. Egal ob im Kino oder in Serienformaten wie Stranger Things oder der ersten Staffel von American Horror Story: Die weiblichen* Figuren haben den Durchblick, aber weil ihnen nicht geglaubt wird, geschieht ein großes Unglück.

Ich frage mich: Wenn Filmemacher_innen den Mythos der Hysterikerin doch eigentlich schon seit Jahrzehnten auf diese Weise dekonstruieren, warum hält er sich dann so wacker? Vielleicht, ganz vielleicht, weil wir ihn in genau diesen Geschichten auch immer wieder und wieder und wieder erzählen? Vielleicht sollten wir einfach einmal aufhören Geschichten über pathologisierte Frauen* zu erzählen?! Vielleicht können wir einfach aufhören, aus realen Gewaltstrukturen Entertainment zu produzieren?! Und vielleicht können wir dann damit anfangen, diese Gewaltstrukturen endlich ernst zu nehmen!

Kinostart: 29. März 2018

Sophie Charlotte Rieger
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