Berlinale 2018: The Best Thing You Can Do With Your Life

Es ist ungemein traurig, wenn uns einst nahestehende Menschen einen Lebensweg einschlagen, der sie immer weiter von uns wegführt und sich zwischen uns ein Graben auftut, den wir nicht mehr ohne Weiteres überbrücken können. Und weil wir alle diese Erfahrung schon einmal auf die eine oder andere Weise gemacht haben, können wir den Schmerz der Protagonistin und Regisseurin Zita Erffa auch umgehend nachvollziehen, wenn sie sich mit ihrer Kamera auf die ungewisse Reise zu ihrem Bruder László begibt.

Entgegen all seiner vorherigen Beteuerungen hat sich László vor nun acht Jahren dem erzkonservativen Orden der Legionäre Christi angeschlossen und lebt seitdem weitgehend von der Welt abgeschottet in einer Ausbildungsstädte in den USA. Zita Erffa hat ihn seitdem kaum gesehen, kaum gesprochen. Zwischen den einst unzertrennlichen Geschwistern herrscht nun eine von Unverständnis und Enttäuschung geprägte räumliche wie auch emotionale Distanz. Plötzlich jedoch wird Zita nicht nur ein zweiwöchiger Besuch bei den Ordensbrüdern erlaubt. Auch die Kamera darf sie mitnehmen, um die Ereignisse zu dokumentieren. Ein Film entsteht.

© Bruno Santamaría Razo

Eigentlich hasst es Zita, wenn Menschen Filme über persönliche Angelegenheiten machen, erklärt sie zu Beginn von The Best Thing You Can Do With Your Life und diese Skepsis gegenüber der privaten Offenbarung ist ihrem Dokumentarfilm dann auch deutlich anzumerken. Ihr flüsternd-gehauchtes Voice Over klingt als solches sehr bedacht, die zum Teil lyrische Sprache und die sorgsam ausgewählten Bildausschnitte und Tableaus achtsam zum Ziele des bewusst künstlerischen Ausdrucks komponiert. Das Moment der Inszenierung steht also stets zwischen Zita und ihrer eigenen Geschichte und bildet einen Schutzwall gegen zu viel Intimität.

Das ist an sich natürlich ebenso legitim wie verständlich und schließlich vor allem Teil des individuellen künstlerischen Ausdrucks. Gleichzeitig aber steht der begrenzte Zugang zur Erzählerin dem Verständnis ihres Werks im Wege. So bleibt unklar, aus welcher Position heraus Zita die Ereignisse bewertet, was ihre eigene Perspektive auf die Themen Religion und Glaube ausmacht. Wie auch László hat Zita Jahr um Jahr ihre Sommerferien in nach Geschlechtern getrennten, katholischen Feriencamps verbracht und dort auch ihre einst beste Freundin Bernadette kennengelernt. Wie auch László hat Bernadette entschieden, sich schließlich einem katholischen Orden anzuschließen. Nur Zita hat den weltlichen Weg eingeschlagen. Warum?

© Bruno Santamaría Razo

The Best Thing You Can Do With Your Life beobachtet den Alltag der Auszubildenden im Orden der Legionäre Christi. Die Frage, weshalb sich junge Männer* für diesen Lebensweg entscheiden, ist dabei omnipräsent, denn es ist ja auch eben diese Frage, die Zita Erffa von ihrem Bruder beantwortet hören will. Und es ist auch diese Frage, die für uns als Zuschauende auf der Hand liegt, die wir doch mit hoher Wahrscheinlichkeit einen ganz anderen Lebensstil pflegen und den jungen Legionären vor allem mit Unverständnis begegnen. Was bei dieser selbstverständlichen Skepsis jedoch unter den Tisch fällt, ist die gerade in Hinblick auf die Sozialisation der Regisseurin notwendige Gegenfrage: Warum denn nicht?

Während sie die private Lebens- und Glaubensgeschichte ihres Bruders für ihr Kinopublikum offenlegt, hält sie die eigene bedeckt. Wir erfahren nicht, ob Zita Erffa selbst religiös war oder ist, welche Rolle das Christentum und die katholische Kirche in ihrem Elternhaus gespielt haben. Ebenso wenig erklärt sie uns die zahlreichen Umzüge der gesamten Familie über Kontinente hinweg. Weder ihre Eltern noch die übrigen Geschwister erhalten eine eigene Stimme. Und somit mögen wir im Laufe des Films dem Legionär László vielleicht etwas näher kommen, doch die Regisseurin selbst bleibt uns weitgehend fremd.

Da es Zita Erffa jedoch im Kern nicht um den Legionär László, sondern um das Verhältnis zu ihrem Bruder geht, um ihre Gefühle von Verrat und den Wunsch nach Versöhnung, bleibt The Best Thing You Can Do With Your Life schließlich hinter seinem eigenen Anspruch zurück. Denn wo eine der beteiligten Parteien für das Publikum diffus bleibt, kann die Beziehung der beiden jungen Menschen nur oberflächlich verstanden werden.

© Bruno Santamaría Razo

Aber vielleicht geht es in The Best Thing You Can Do With Your Life, ob nun bewusst oder unbewusst, genau darum: Ohne zu wissen, wer wir selber sind, werden wir auch unser Gegenüber nicht ergründen können. Ohne unsere eigene Perspektive zu kennen, muss der Blick auf die anderen immer ein trügerischer bleiben. Ohne uns selbst ebenso kritisch zu hinterfragen, wie jene, die wir in Zweifel ziehen, können wir keine Erkenntnis(se) erlangen. Oder auch, wie es im 1. Korintherbrief, Kapitel 13, Vers 11 bis 13 heißt: „Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Die Liebe ist auch in Zita Erffas Film schließlich das Größte. Denn auch wenn die beiden jungen Menschen in vielerlei Hinsicht keine Brücken mehr über die sie trennende Kluft bauen können, beispielsweise beim Thema Homosexualität, bleiben sie einander trotzdem tief verbunden. Damit formuliert The best Thing You can Do With Your Life am Ende ein ungemein rührendes Statement für interreligiösen Dialog: Wir müssen nicht alle an dasselbe glauben. Es reicht, wenn wir uns lieben.

Screenings bei der Berlinale 2018

Sophie Charlotte Rieger
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