Berlinale 2013: Die 727 Tage ohne Karamo

Dieser Text stammt von meinem ersten Blog SophiesBerlinale und gehört somit zu meinen ersten wackligen Schritten als Filmjournalistin. Deshalb bitte ich darum, etwaige Mängel zu entschuldigen und wohlwollend darüber zu schmunzeln.

© Filmladen

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Dieser Dokumentarfilm über die rechtlichen Problem binationaler Paare in Österreich interessierte mich vor allem auf Grund meiner eigenen Arbeit mit Migrant_innen in Berlin. Ich habe mich schon oft mit der Frage beschäftigt, welche Regeln es für einen Aufenthalt in Deutschland geben sollte, ob diese Art von Voraussetzung überhaupt sinnvoll und vor allem moralisch vertretbar ist, etc. Dann aber wieder kenne ich Familien, die seit über zehn Jahren in Deutschland leben, und noch immer auf Grund mangelnder Deutschkenntnisse keine Chance haben, sich zu integrieren. Es ist alles nicht so einfach…

Aber zurück zu 727 Tage ohne Karamo. Dokumentarfilmerin Anja Salomonowitz hat 20 binationale Paare zu ihrer Lebenssituation und den damit verbunden Problemen befragt. Bei 90 Minuten Film kann sich nun jede_r ausrechnen, dass die Einblicke in den Alltag der Protagonist_innen stark limitiert sind. Die Regisseurin hat hier ganz bewusst einen kollektiven Eindruck der Begleitung einzelner Protagonist_innen vorgezogen. Für mein Gefühl ergänzen sich die einzelnen Fragmente aber nur bedingt zu einer gemeinsamen Geschichte. Bei mehreren Episoden interessierte mich brennend der weitere Verlauf, der Ausgang eines Verfahrens, Verhandlungen mit den Behörden. Der ständige Wechsel der Protagonist_innen erschwert es zudem, eine emotionale Beziehung zu den Figuren einzugehen. Kaum ist das Drama eines Paares etabliert, geht der Film auch schon zur nächsten Geschichte über und verlangt von mir, mich auf andere Erzähler_innen einzulassen.

Das Gefühl einer unüberwindbaren Distanz zum Film wird durch die starke Inszenierung und Stilisierung verstärkt. Salomonowitz arbeitet zwar mit „echten“ Protagonist_innen, arrangiert die Settings, in denen diese zu Wort kommen, jedoch sehr bewusst. Nicht nur die Kleidung ist aufeinander abgestimmt, auch die Dekoration der Räume, in denen sie interviewt werden, ist passgenau farblich arrangiert. Das dokumentarische Moment wird hierdurch immer wieder gebrochen. Handelt es sich um echte Geschichten oder werden wir Zeug_in einer besonders cleveren Inszenierung? Es mag sein, dass dieses surreale Setting die Absurdität der behördlichen Hürden symbolisiert. Die ästhetische Brechung dessen, was wir als dokumentarisch und somit als authentisch empfinden, vergrößert aber auch die schon angesprochene Distanz zwischen Publikum und Protagonist_innen. Es entsteht keine Intimität und die zum Teil hoch emotionalen Geschichten können die Zuschauer_innen nur schwerlich berühren.

Ich hätte mir zudem eine Darstellung der Gegenseite gewünscht, die über das Voice Over hinausgeht, das zwischen den Episoden stets die Rechtslage erörtert. Denn ich gehe davon aus, dass Gesetze an irgendeiner Stelle eine Funktion und einen Ursprung haben, die ich gerne kennen würde, um das Problem in seiner Gesamtheit zu erfassen.

727 Tage ohne Karamo gewährt einen interessanten Einblick in die Einwanderungspolitik Österreichs und vermag damit durchaus zu schockieren. Geschichten von verzweifelten Ehefrauen, die ihre Männer seit Jahren nicht gesehen haben oder von Verhaftungen auf dem Standesamt, die Ehen auseinander reißen, die gerade erst oder noch nicht einmal geschlossen wurden, machen die Zuschauer_innen fassungslos in Anbetracht eines scheinbar unmenschlichen Rechtssystems. Dass hierzu die Gegenposition fehlt, nimmt dem Ganzen jedoch ein wenig die Überzeugungskraft. Schade.

[Edit Februar 2020: Heute – sieben Jahre später und inzwischen selbst in einer binationalen Partner:innenschaft, mitten im Kampf gegen Behörden und Einwanderungsgesetze – würde ich diesen Text ganz anders schreiben, diesen Film ganz anders sehen. So subjektiv ist Filmkritik am Ende eben doch.]

Sophie Charlotte Rieger
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