2014 – Das Jahr der Filmlöwin

2015 steht direkt vor der Tür und alle Kolleg_innen schreiben fleißig Listen ihrer Lieblingsfilme aus dem vergangen Jahr. Ein kleiner Rückblick darf auch hier nicht fehlen, aber eine reine Filmliste soll es nicht sein. Vielmehr möchte ich mich dem geschätzten Kollegen Alexander Matzkeit anschließen, der auf seinem Blog Real Virtuality von den Highlights seines Jahres berichtet hat, und meine kleinen und großen Erfolge der vergangenen 12 Monate sowie die vielen kleinen Schritte zur Geburt der FILMLÖWIN nachzeichnen.

Berlinale mal anders

Das Jahr begann überaus steil mit einem Anruf des Verbands der deutschen Filmkritik und der Frage, ob ich mir vorstellen könne, in der FIPRESCI-Jury der Berlinale zu sitzen (das mag auch Ende 2013 gewesen sein, aber sei’s drum). Ich stotterte sprachlos meine Zustimmung und wurde wenig später offiziell berufen, gemeinsam mit zwei Kolleg_innen den Gewinnerfilm der Panorama-Sektion zu küren. Eine ehrenhafte, aber auch sehr anstrengende Aufgabe, die durch einen schweren Krankheitsfall im engeren Familienkreis zusätzlich erschwert wurde. Und so ist das wahre Highlight eigentlich noch immer der Moment des Anrufs. Aber der war wirklich großartig!

© Missingfilms

© Missingfilms

Achtung Berlin, hier kommt Isabell Suba

Das nächste Festival in meinem persönlichen Kalender war auch 2014 das Achtung Berlin Festival, das zu meinen absoluten Lieblingsfestivals gehört. Ich liebe die lockere Stimmung, die Möglichkeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Und auch die Filmauswahl, die stets viele Erstlingswerke beinhaltet, begeistert mich jedes Jahr aufs Neue. Dieses Jahr aber besonders, denn das Festival eröffnete ausgerechnet mit Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste, einem Film, auf den ich mich schon seit seiner Crowdfunding-Phase gefreut hatte. Mit Regisseurin Isabell Suba persönlich zu sprechen, war dann das absolute Highlight. Nicht zuletzt hat die Begegnung mit dieser wahrhaftigen Filmlöwin auch einen bleibenden Eindruck hinterlassen, der gemeinsam mit weiteren Ereignissen des vergangenen Jahres schließlich zu diesem Magazin führte. In diesem Sinne: Danke, Isabell!

Filmlöwinnen in Ankara

Schon 2013 hatte ich mich für die FIPRESCI Jury in Ankara beworben. Beim Flying Broom Festival handelt es sich nämlich um das einzige Frauenfilmfestival, das über eine solche Jury aus Filmkrtiker_innen verfügt. Nachdem ich meine Teilnahme 2013 wegen anderer Verpflichtungen kurzfristig hatte absagen müssen, war es dann dieses Jahr endlich so weit. Die Begegnung mit den vielen, vielen Filmlöwinnen aus der Festivalorganisation, den Filmemacherinnen, Schauspielerinnen und Leiterinnen anderer internationaler Filmfestivals setzte bei mir plötzlich einen neuen, feministischen Identifikationsprozess in Gang. „Ich bin Feministin und das ist auch gut so!“ Aus dieser Zuschreibung wiederum erwuchs der Wunsch, einen Beitrag zur Stärkung der Filmfrauen zu leisten. Zurück in Berlin begann ich umgehend mit den Planungen für die FILMLÖWIN. Aber bis zu ihrem Launch sollte es noch eine ganze Weile dauern…

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Die FIPRESCI Jury beim Flying Broom Festival: Selin Gürel, Marilena Iliesiu und ich.

Die Wolken von Sils Maria und Tränen des Glücks

Als ich Ende Juni zum Filmfestival nach München fuhr, hatte ich bereits zahlreiche Filme gesehen. Immerhin war es das bereits sechste Festival in diesem Jahr, doch die Momente großer Begeisterung waren bislang ausgeblieben. Selbstredend hatte ich überall sehr gute Filme gesehen, doch dieses Moment der Ehrfurcht, das Gefühl, etwas ganz Großem beizuwohnen, war bislang ausgeblieben. Mit Die Wolken von Sils Maria von Olivier Assayas aber fand ich endlich mein Filmhighlight des Jahres. Um mich einmal selbst aus meiner Kritik bei programmkino.de zu zitieren: „Voll kluger Beobachtungen und von außergewöhnlicher Schönheit rührt dieser Film zu Freudentränen über die Filmkunst.“ Tatsächlich stiegen mir während des Films mehrfach Tränen in die Augen. Nicht aus Trauer, sondern aus einem Gefühle positiver Rührung und purer Begeisterung.

Eine grimmige Berufung

Und wieder sorgte ein Telefonanruf für plötzliches Herzrasen und Schweißausbrüche. Diesmal war es das Grimme-Institut, das mich fragte, ob ich spontan Lust und Zeit hätte, einen Sitz in der Sichtungskommission des Bereichs „Fiktion“ für den Grimme-Preis einzunehmen. Lange Zeit war ich ziemlich sicher, die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung habe sich verwählt. Doch auch nach mehrmaligem Nachfragen wollte sie noch immer Sophie Charlotte Rieger sprechen, was zweifelsohne ich selbst war. Und so kam es, dass die Grimme-Sichtungskommission Fiktion dieses Jahr über eine besonders starke feministische Stimme verfügt. Ob die sich durchsetzt, werden wir jedoch erst 2015 erleben, wenn meine Kolleg_innen und ich die Nominierungen bekannt geben.

Angst-Exposition mit Milla Jovovich und James Franco

Ich grusele mich furchtbar vor Interviews mit „echten“ Stars. Mit „echt“ meine ich Menschen, die auf der ganzen Welt bekannt sind und schon jetzt mehr Interviews gegeben haben als ich jemals führen werde. Aber weil ich der Meinung bin, dass man sich seinen Ängsten stellen muss, habe ich dieses Jahr in Venedig erstmalig Interviews mit den „ganz Großen“ geführt. Milla Jovovich war dabei auf ganz Linie beeindruckend. Sie besitzt eine Präsenz, Schönheit und Natürlichkeit, die mir wahrlich den Atem raubten. Was für eine Frau! Weniger visuell, dafür aber inhaltlich beeindruckend war James Franco, von dessen Talent als Künstler ich nun restlos überzeugt bin. Und da dürft ihr sagen was ihr wollt. Und damit basta!

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Girlhood überstrahlt Hamburg

Das Filmfest Hamburg gehört trotz der manchmal recht suboptimalen Organisation ebenfalls zu meinen Favoriten. Die einzelnen Sektionen sind mit viel Liebe zusammengestellt und einige Kurator_innen moderieren die Vorführungen selbst. Das macht großen Spaß, weil Einführungen in Themen und Filmnationen sowie Gespräche mit Filmemacher_innen dadurch eine ganz andere Ebene erreichen. Das wahre Highlight aber war der Film Girlhood von Céline Sciamma, einer Coming of Age Geschichte, die reale Missstände des heutigen Patriarchats in aller Deutlichkeit anprangert und dabei ihre Heldin doch niemals in eine Opferposition rückt. Es sind Filme wie diese, die uns Frauen nicht nur zeigen, dass wir mit unseren Empfindungen und Sorgen nicht alleine sind, sondern auch die Motivation und somit letztlich die Kraft bieten, gegen Missstände zu kämpfen und unseren eigenen Weg zu gehen. Es ist bedauerlich aber wahr, dass es in der aktuellen Kinolandschaft sehr wenige Filme gibt, die diese Wirkung haben. Deshalb ist Girlhood aus feministischer Sicht mit großem Abstand mein Film des Jahres.

Die Pille danach – Der feministische Sieg des Jahres

Es gibt, oder vielmehr gab, in Deutschland drei Gesetzesregelungen, die mir besonders gegen den Strich gingen. Dazu gehört der juristische Umgang mit angezeigten Vergewaltigungen, die Beratungspflicht bei Abtreibungen (und das damit einhergehende Verbot, denn nein, Abtreibungen sind in Deutschland nicht im eigentlichen Sinne „legal“) und das Gesetz gegen die freie Abgabe der Pille danach. Was war das für ein Jubelschrei, der spontan meiner Kehle entfuhr, als ich in meiner Facebook-Timeline die ersten Artikel über den Wegfall der Rezeptpflicht für die Pille danach entdeckte. Wie schön es ist, wenn wir merken, dass sich tatsächlich Dinge bewegen und zum Besseren verändern! Denn das gibt auch wieder Kraft für die eigenen Kämpfe. Juhu!

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 Fulminantes Finale mit der FILMLÖWIN

Nach sechs Monaten Planung, Konzeption, Zusammenarbeit mit meinen tollen Webdesignerinnen Marie Bauer und Pauline Bernier, endlosen Beratungen mit dem Kollegen Thomas Groh und vielen, vielen, vielen (!) Stunden Arbeit war die FILMLÖWIN am 16. Dezember endlich online. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie schon über 100 Facebook-Fans und begeisterte Emails fanden sich in meinem Postfach ein. Die durchweg positive Resonanz auf dieses Projekt war das vielleicht beste Weihnachtsgeschenk, nur noch übertroffen von einem recht spontanen, knapp 8 minütigen Live-Interview bei Deutschland Radio Kultur (der dritte „Ich glaub, mein Herz bleibt stehen“-Anruf dieses Jahres). So kann es in 2015 ruhig weiter gehen: mit vielen feministischen Erfolgen. Auf dass die FILMLÖWIN wachsen und immer lauter brüllen möge.

Sophie Charlotte Rieger
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