The Duke of Burgundy – Über das Begehren

An einem Ort, der weder zeitlich, noch geographisch zu verorten ist, in einer Welt, die wie unsere und doch ganz anders ist, ringen zwei Frauen um ihr Begehren. Was zunächst wie ein von Sadismus geprägtes Arbeitsverhältnis wirkt, entpuppt sich schnell als konsensuelles erotisches Machtspiel.

© Salzgeber & Company

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Mit The Duke of Burgundy rückt Regisseur Peter Strickland das verschrobene Bild von BDSM gerade, dass Fifty Shades of Grey in der breiten Wahrnehmung hinterlassen hat. Mit Evelyn (Chiara D’Anna) und Cynthia (Sidse Babett Knudsen) treffen zwei Menschen auf Augenhöhe zusammen, entscheiden sich gemeinsam für eine besondere Form des Liebesspiels. Dabei ist es der devote Part, der die Richtung angibt. Trotz ihrer Rolle als (sexuelle) Dienstmagd schreibt Evelyn die Drehbücher für die sadomasochistische Inszenierung, inklusive Dialog und minutiöser Anweisungen für ihre „Herrin“. Die Machtverteilung ist in der Realität also genau andersherum als im Spiel.

Und so sollte es doch eigentlich auch sein: Die Macht liegt bei dem_derjenigen, der_die sich unterwirft, sich hingibt. Das Spiel muss seinen_ihren Regeln folgen. Doch der Konsens zwischen Evelyn und Cynthia bröckelt. Die zu Grunde liegenden Machtstrukturen ihres Spiels werden Realität: Es ist die Domina, die leidet, die Sklavin, die daraus Befriedigung erfährt. Cynthia fühlt sich in ihrer Rolle immer unwohler, sucht die zärtliche Begegnung mit Evelyn, wird von dieser jedoch immer wieder in die dominante und sadistische Position gedrängt. Die Liebe und das eigene Begehren treiben Cynthia immer wieder dazu, das ungeliebte Spiel zu spielen, wodurch sie auf den gefährlich schmalen Grat zwischen performativem und gefühltem Sadismus gerät.

the duke of burgundy

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The Duke of Burgundy ist der Film eines Mannes, der auf Frauen blickt. Doch Strickland ist niemals voyeuristisch, greift nicht auf den berüchtigten „male gaze“, auf den Blick durch die Augen eines Mannes* auf das Objekt Frau* zurück. Indem er eine fiktive, rein weibliche Welt erschafft, löst Strickland stattdessen die Geschlechterkategorien auf: Hier treffen nicht zwei Frauen*, sondern zwei Menschen aufeinander. Interessant ist auch die Berufswahl der Figuren, die Insekten, insbesondere aber Falter und Grillen erforschen. Wenn sie nicht gerade miteinander „spielen“, gehen sie in die Bibliothek oder besuchen wissenschaftliche Vorträge, die – natürlich – vor einem rein weiblichen Publikum stattfinden.

Der Inszenierung haftet insbesondere in diesen Momenten etwas Absurdes an, das die konkrete Geschichte der beiden Frauen abstrahiert und zu einem allgemeingültigen Bild transformiert. Auch die demonstrative Stilisierung von Setting und Handlung stellt einen Bruch dar und trägt zur Vermeidung einer voyeuristische Perspektive bei, in dem sie die Ereignisse in eine Parabel verwandelt und durch das Motiv der Falter, deren hervorstechendes Charakteristikum die Verwandlung ist, mit Bedeutung auflädt.

© Salzgeber & Company

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Im Gegensatz zu den Faltern sind Evelyn und Cynthia keine Forschungsobjekte. Sie sind Subjekte, Menschen, die sich in ihrem Spiel verlieren. Darin steckt kein Werturteil und kein Fazit. Peter Strickland will weder für Sadismus und Masochismus werben, noch diese verurteilen. Stattdessen stellt er auf eindrückliche und anschauliche Weise Begehren dar. Er blickt durch Schlüssellöcher, umschmeichelt mit der Kamera die Körper seiner Darstellerinnen. The Duke of Burgundy macht körperliche wie auch emotionale Sehnsucht erfahrbar. Und es ist diese Sehnsucht, die auch die Frage danach beantwortet, weshalb sich Cynthia nicht aus der abusiven Beziehung löst.

Das Ende ist offen. Wir wissen nicht, ob sich Cynthia und Evelyn jemals verwandeln, sich jemals aus dem Machtungleichgewicht befreien und davon fliegen können – von dem gespielten und von dem gefühlten.

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Das Ende fügt sich nahtlos an den Anfang der Geschichte. Doch die zirkuläre Struktur ist keine diabolische, trägt keinen vernichtenden Pessimismus, keine Ausweglosigkeit. Vielmehr unterstreicht sie noch einmal den fiktiven Charakter der Mär von Evelyn und Cynthia und öffnet sie damit für die Identifikation des Publikums.

In jeder Beziehung, in jedem Begehren existiert ein Machtverhältnis – ein performatives und ein tatsächliches, statisch oder durchlässig. Die eigentliche Frage ist, ob wir uns dessen so bewusst sind, dass wir damit spielen können…

Kinostart: 3. Dezember 2015

Sophie Charlotte Rieger
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