FFHH 2017: Teheran Tabu

Es ist hart im Iran für die Frauen*, daran lässt der nachanimierte Spielfilm Teheran Tabu keinen Zweifel aufkommen. Aber eigentlich wussten wir das vorher schon, oder?! Mit seinem Regiedebut vermag uns Ali Soozandeh deshalb wenig Neues zu erzählen, sondern eher jenes zusammen anzuordnen, was uns bereits bekannt ist. Eine alleinerziehende Mutter, die sich prostituiert, um sich und den kleinen Sohn zu ernähren. Die Ehefrau*, die von Gatte und Schwiegerfamilie in die Hausfrauen*rolle gezwungen wird und daran zu Grunde geht. Und das Mädchen*, das unbedingt seine Jungfräulichkeit zurückerlangen muss, um heiraten zu können. Neu ist aber die vierte Figur im Bunde: Ein junger Musiker, der seiner Disco-Eroberung das Geld für die Jungfrauen*-OP verschaffen möchte. Ein edler Mensch, so meinen wir, deshalb bekommt er in diesem Film über Frauen auch eine Storyline.

© Camino Filmverleih

Umgeben sind die Figuren von einem restriktiven politischen System, von jeder Menge Sexismus und Misogynie, vor allem aber von Verlogenheit. Frauen* sind entmenschlichte Sexobjekte, es sei denn, sie gehören zur eigenen Familie, dann nämlich sind sie Heilige, die niemand berühren und schon gar nicht penetrieren darf. Und während große Moralpredigten über promiskuitive Weiber* gehalten werden, geht Mann* heimlich zu Sexarbeiterinnen, blättert in Pornoheften und guckt am liebsten jene TV-Programme, in denen Frauen* möglichst wenig Kleidung tragen. Ekelhaft, widerwärtig, menschen- vor allem aber eben frauen*verachtend. Aber nichts Neues.

Zugegeben: Manch eine_r findet hier vielleicht doch noch Erkenntnisse darüber, wie Geschlechterrollen in anderen Kulturen verhandelt werden. Dass es noch Orte gibt, an denen Frauen* ihre Arbeitsverträge nicht selbst unterschreiben dürfen, an denen auf sexy Telefonstreiche Gefängnis steht, an denen eine Scheidung selbst dann nicht durchgesetzt werden kann, wenn der Ehemann* im Gefängnis sitzt und seit über einem Jahr keinen Unterhalt gezahlt hat. Dass es noch Orte gibt, an dem die sexuelle Selbstausbeutung (nicht zu verwechseln mit selbstbestimmter und gewählter Sexarbeit!) der einzige Weg ist, ein kleines bisschen Macht und Kontrolle über das eigene Leben zu behalten. All das vermag Teheran Tabu eindrucksvoll zu vermitteln und daher mit Sicherheit ein wenig Bildungsarbeit zu leisten.

© Camino Filmverleih

Aber das reicht einfach nicht. Zum einen nämlich besitzt auch der Film selbst kleine blinde sexistische Flecken. Wie zum Beispiel, wenn wir uns mit Musiker Babak solidarisieren sollen, der sich ja ach so sehr aufopfert, um seinem One Night Stand das Geld für die Jungfrauen*-OP zu verschaffen. Dabei unterschlägt der Film, dass eben jener junge Mann* sich beim Verabreichen von Drogen und dem daraus resultierenden Beischlaf auf der Clubtoilette ziemlich ungalant über das eindeutige „nein“ der Frau hinweggesetzt hat. Des Weiteren bleibt Teheran Tabu in dem Besang der Opfer einer ungerechten Welt stecken, ohne einen Ausweg aufzuzeigen. Die Frauen* der Geschichte scheitern, sterben oder verkaufen notgedrungen ihren Körper. Es gibt kein Empowerment und weibliche* Solidarität dient nur der Schadensbegrenzung oder dem Trost über das Unabänderliche.

Und während die Frauen* alle missverstandene Heilige sind, treten die Männer* dieser Geschichte durch die Bank verlogen, egoistisch und misogyn auf. Ja, selbst der liebliche Babak entpuppt sich schließlich als Arschloch. Auch an dieser Stelle gibt es keinerlei Hoffnung, als wären Männer* per Biologie schon egoistisch und charakterschwach. Einzig der Sohn der Prostituierten könnte noch zu einer Ausnahme heranwachsen, doch ist dieser leider stumm und ergo ohne Stimme, im heute wie im morgen.

© Camino Filmverleih

Teheran Tabu malt damit die Zukunft nicht nur für die Frauen düster, sondern für das gesamte Land Iran, trägt diesen Pessimismus aber weitgehend auf dem Rücken der weiblichen Bevölkerung aus, die in dieser Geschichte ausschließlich die Rolle der Opfer zugestanden bekommen. Der Status Quo scheint in Stein gemeißelt: Fiese Männer* herrschen über bemitleidenswerte Frauen*, unabänderlich, naturgegeben vielleicht gar.

Damit macht es sich Ali Soozandeh meines Erachtens zu leicht. Nicht nur, weil er beispielsweise beim Thema „Consent“ selbst noch feministisches Entwicklungspotential besitzt, sondern auch weil er das Elend seiner Frauen*figuren für die Dramatik seines Films ausschlachtet. Teheran Tabu ist ein Film, mit dem sich herrlich auf die Welt schimpfen lässt, ohne sich selbst bei den Eiern zu packen und darüber nachzudenken, was ich, was du, was jeder Mensch dafür tun kann, eine Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Die Geschichte betrauert die Schlechtigkeit der Welt, die aus unserer deutschen Sicht aber angenehm weit weg ist, ohne uns herauszufordern. Nach dem Kino können wir dann bei einem Bier noch darüber plauschen, wie schwer es denn die Frauen* im Iran haben. Und beim zweiten Getränk geht es dann schon wieder um etwas anderes. Um Germany’s Next Top Model vielleicht. Oder die Bekannte, die nach nur sechs Monaten Elternzeit egoistischer Weise wieder arbeiten geht. Oder die Frage, ob Kopftücher nicht lieber verboten sein sollten… Und gelernt haben wir dann nichts.

Kinostart: 16. November 2017

Sophie Charlotte Rieger
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