Interview: Susan Gluth über Urmila – Für die Freiheit

Mit ihrem Dokumentarfilm Urmila – Für die Freiheit richtet Susan Gluth unsere Aufmerksamkeit auf die Versklavung nepaleischer Mädchen* und Frauen* als sogenannte Kamalari – minderjährige Haushaltsangestellte, denen nicht nur Bildung, sondern letztlich auch Menschenwürde vorenthalten werden. Ihrem Film geht es nicht nur um das Portrait der titelgebenden Aktivistin Urmila, sondern auch um die Sichtbarmachung einer menschen- und frauen*verachtenden gesellschaftlichen Praxis, die hierzulande wohl den wenigsten bekannt ist.  

© Susan Gluth

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Wie haben Sie Urmila kennengelernt bzw. wie sind Sie zu dem Thema des Films gekommen?

Susan Gluth: Ein Spiegel-Artikel 2011 über ihre Geschichte war das Initialmoment. Nachdem wir uns kennengelernt haben, war klar, dass ich keinen Film über die Vergangenheit machen möchte, auch keinen Film über Sklaverei mit einem NGO-Blick, sondern eine Art Portrait über diese starke Frau, die ihre Vergangenheit versucht zu nutzen, sich nicht dem Trauma ergibt, sondern daraus Kraft zieht, um für die Freiheit anderer und für sich selbst zu kämpfen.

Wie war die Arbeit mit Urmila? Ich stelle mir vor, dass die Präsenz der Kamera für sie und die anderen Frauen* und Mädchen* sehr ungewohnt war. Wie haben sie auf die Dreharbeiten reagiert?

Urmila hat bereits viel Presseerfahrung in ihrem Leben. Die Kamera ist nicht ungewohnt für sie. Allerdings die Art und Weise wie ich drehe schon. Beobachten, keine Anweisungen. Was passiert, passiert. Das hat sie irritiert, weil sie viel Inszenierung gewohnt war. Irgendwann hat sie begonnen, Nähe zuzulassen, aber auch nicht immer. Es war ein vorsichtiges Herantasten und sich entfernen voneinander. Mit den übrigen Mädchen war es wesentlich einfacher. Die kannten Kameras noch nicht, oder sehr viel weniger als Urmila. Die Kamera war einfach da und mit ihnen.

© Susan Gluth

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Der Film geht wenig auf Urmilas Lebens- und Leidensgeschichte und mehr auf ihren aktuellen Kampf ein. War das eine bewusste Entscheidung und wenn ja, was waren die Gründe dafür, Urmilas Geschichte als Kamalari und die der anderen Mädchen nicht stärker in den Fokus zu rücken?

Ich wollte kein NGO-Tränendrüsenmovie und auch keinen journalistischen Faktenfilm herstellen. Das wäre schnell passiert, wenn wir mit mehr faktischen Informationen gearbeitet hätten. Mir ging es darum, Urmila und ihre Kraft zu erforschen, zu sehen, wie sie mit der Vergangenheit umgeht, wie es andere tun, was 12 Jahre Sklaverei für Spuren hinterlassen in der Seele. Und wie sie trotzdem immer wieder aufsteht, sich einsetzt, für das, was sie machen muss.

Zudem sind ihre Geschichten ja Vergangenheit, diese wurde nicht in Bildern festgehalten. Und was würden sie schon zeigen? Mädchen die den Boden schrubben, sich die Finger blutig scheuern. Das sieht man auch im Heute und im Theater*, was ja in der Verbindung in die Vergangenheit weist.

(*Anm.d.Red.: Der Film enthält Aufnahmen von Theaterproben, in denen Urmila und andere Mädchen* und Frauen* ihre Lebensgeschichten verarbeiten.)

Haben Sie jemals versucht, Urmilas Brüder, die sie ja verkauft haben, zu befragen? Wie hat die Familie auf die Dreharbeiten reagiert?

Der älteste Bruder hat sie verkauft. Den haben wir noch lange im Film gelassen. Ein starkes Interview. Aber am Ende musste es der Gesamtstruktur weichen.

Die Familie hat uns, nachdem klar war, wir sind keine Sensationsjournalisten, sehr offen empfangen. Ich habe mit Vater und Mutter unter einem winzigen Dach geschlafen. Ich und wir konnten tun und lassen was wir wollten.

Die Interviews waren nicht einfach zu führen, weil die Tharu eher stille Menschen sind. In eine Kamera zu sprechen, in der Ehrlichkeit und Intensität, war schwer für sie. Die Worte kamen sehr langsam. Urmila hat zuvor nie derart über die Vergangenheit mit ihren Eltern gesprochen.

Gab es jemals die Überlegung, mit Menschen zu sprechen, die Mädchen wie Urmila in ihrem Haushalt „beschäftigen“ bzw. in einem solchen Haushalt zu drehen? Falls ja, warum wurde die Idee verworfen?

Ja, ganz am Anfang gab es diese Idee. Aber warum möchten sie sehen, was dort in den Haushalten geschieht? Was bringt das dem Zuschauer? Hausarbeit kann sich jeder vorstellen. Vergewaltigung viele. Das alles wird erwähnt, in Worten. Es ist doch viel spannender in einem Kinofilm zu hören, zu spüren was das auslöst und zu sehen, wie die Mädchen damit umgehen. Sich auf die Reise mit ihnen machen, ohne jede Information in einem TV-gerechten Bild vorgesetzt zu bekommen. Man kann dem Zuschauer schon etwas zumuten. Voraussetzung ist Offenheit und Neugierde. Und ein gutes Kino. Der Film sollte erlebt werden.

© Susan Gluth

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Wie haben die nepalesischen Behörden auf die Dreharbeiten reagiert? Gab es Auflagen? Wie waren die Drehbedingungen?

Wir hatten keine Drehgenehmigung. Und verdammt viel Glück. Ich hätte den Film offiziell nicht drehen dürfen, weil das Thema Sklaverei zu sensibel ist. Ausländern ist es verboten, schlecht über das Land zu berichten. Das war auch nie meine Intention, ich habe Nepal sehr gern. Aber das hätte ich nicht vermitteln können. Das, was im Film passiert, ist genauso anderswo zu finden. Einige Szenen konnte ich nicht selbst drehen, das hat ein akkreditierter Kameramann vor Ort gemacht.

Gibt es eine Verantwortung von Filmschaffenden, sich Themen wie der Geschichte Urmilas anzunehmen? Sehen Sie einen solchen Film als politisches/gesellschaftliches Engagement?

Ich kann nur für mich sprechen. Vielleicht gibt es sowas wie ein inneres Bedürfnis, sich diesen Themen anzunehmen. Aber meine Haltung zu den Inhalten oder der Art zu erzählen ist in Wandlung. Wollte ich in Darfur/Sudan zuerst auf die entsetzlichen Zustände des Krieges aufmerksam machen, von dem wir in Europa sehr wenig mitbekommen haben, ist es bei Urmila ein anderer Ansatz. Sklaverei gibt es in vielfältigster Form, überall auf der Welt, auch bei uns. Entscheidend bei diesem Film ist, wie geht Urmila mit dem Geschehenem um? Wie meistert sie ihr Leben, wieso ist sie nicht zerbrochen an alldem? Welche Kräfte ziehen an ihr und wollen sie für ihre Zwecke nutzen? Wie findet sie ihren eigenen Weg? Der Film ist im Heute verankert und setzt sich mit der Vergangenheit auseinander. Und am Ende ist so ein persönlicher Film auch politisch, dafür ist die Form ja nicht entscheidend.

© Susan Gluth

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Abschließend noch eine Frage zu einem deutschen Diskurs über Frauen*rechte: Wie stehen Sie zum Thema Regie-Quote? Ist eine stärkere Präsenz von Frauen in der Filmregie notwendig, z.B. in Hinblick auf Filme wie Urmila?

Ich mache meinen Job so gut es geht und arbeite mit Frauen und Männern, Ausländern, Muslimen, Schwarzen und Weißen zusammen. Und hatte seit meiner Praktikumszeit auch noch nie das Gefühl als Frau schlechter behandelt zu werden. Schauen sie nach Cannes: Maren Ade und Janine Jackowski haben gerade mit Toni Erdmann einen Film hingelegt, den die Welt begeistert aufnimmt. Vermutlich ist der Film einfach gut.

Sophie Charlotte Rieger
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