Gut Gebrüllt: Petra Volpe, DIE GÖTTLICHE ORDNUNG und die Kraft der Vulva

© NadjaKlier

Auf Filmlöwin Petra Volpe wurde ich erstmalig auf Grund ihres Skripts für den jüngsten Heidi-Film aufmerksam, den ich als queerfeministische Heldinnengeschichten las. Wie groß war dann die Freude, dass sie sich mit Die göttliche Ordnung wieder ein feministisches Thema vornahm, nämlich das Frauen*stimmrecht in der Schweiz. Und wieder ließ Petra Volpe mit ihrer Geschichte mein feministisches Herz höher schlagen. Im Rahmen des Filmfest München dann gab es endlich die Gelegenheit einer persönlichen Begegnung, an der wir – so wage ich mal einfach zu behaupten – beide große Freude hatten. In unserem Interview ging es dann nicht nur um Die göttliche Ordnung, sondern auch um die Bedeutung von Sexualität für die Frauen*bewegung und natürlich auch die Position weiblicher* Filmemacherinnen in Deutschland.

Filmlöwin: Wie fing alles an? Kamst du zu der Idee oder sie zu dir?

Petra Volpe: Die kam zu mir. In den meisten meiner Filme geht es um Frauen, die sich irgendwie befreien, auch bei meinen Fernsehfilmen. Dann hat Reto [Schärli], der Produzent, mit dem ich zusammenarbeite, mal in einem Nebensatz gesagt: Eigentlich müsste man über das Frauenstimmrecht in der Schweiz mal einen Film machen. Und bei mir hat’s eingeschlagen wie eine Bombe. Ich hab gesagt: Fucking hell, warum ist mir das nicht eingefallen, mir als hardcore Feministin?

Was hat dich so besonders an dem Thema gereizt?

Da kommen alle Themen zusammen, die mich interessieren. Und es ist wie mit vielen Frauengeschichten: Man weiß etwas darüber, aber man hat sich nie richtig damit beschäftigt, weil die Gesellschaft das nicht als Skandal erzählt, sondern als „das war halt bei uns so.“ Du musst auch als Frau dahin kommen zu denken: Moment, wie scheiße ist das eigentlich?!

Auf der Handlungsebene geht es um das Frauen*stimmrecht. Worum geht es Dir im Kern?

Natürlich geht es um Gleichberechtigung, aber darunter geht es auch um Zivilcourage und Demokratie und darum, wie wir als Menschen zusammenleben wollen und wie auch Männer in diesem patriarchalen System benachteiligt sind. Es war mir wichtig, in dem Film zu zeigen, wie sehr sich das Patriarchat oder die kapitalistisch patriarchale Struktur, in der wir leben, auch gegen Männer richtet. Und wie sehr auch sie davon profitieren, wenn die Geschlechter gleichberechtigt sind.

„Der Film musste diese Biederkeit haben, um die Biederkeit zu zeigen.“

Dein Film wirkt in vielerlei Hinsicht wie ein klassischer Heimatfilm. Warum hast Du Dich für diesen Stil entschieden?

Wir haben versucht, diese Welt wieder auferstehen zu lassen. Und verstehen, wie stark die Atmosphäre von Unterdrückung war, wie sehr die Schweiz wie unter einer Glasglocke war, kann man nur, wenn man diese Biederkeit nachzeichnet. Der Film musste diese Biederkeit haben, um die Biederkeit zu zeigen und dieses Gefühl von Beengung entstehen zu lassen. Ich wollte ja keine Geschichtslektion machen, sondern einen sinnlichen Film, der physisch erfahrbar macht, was das für eine bedrückende Atmosphäre war.

Wie habt ihr das geschafft? Wie bist Du an das Thema herangegangen?

Wir sind in die Archive und haben angeguckt: Wie waren die Menschen damals gekleidet, wie sahen die Wohnzimmer aus, wie haben die Leute gesprochen, sich bewegt? Es war mir ein ganz wichtiger Aspekt des Films, das wieder auferstehen zu lassen. Mit dem Risiko, dass er halt dann mit dieser Behäbigkeit daher kommt.

© Alamode

Warum hast Du Dich für eine vergleichsweise stabile und zufriedene Hauptfigur entschieden und nicht für eine, an der patriarchale Unterdrückung stärker sichtbar ist, z.B. durch häusliche Gewalt?

Es war mir extrem wichtig, den Film nicht mit einem Opfer anzufangen. In dieser Hinsicht hatte ich echt ein Problem mit Suffragette. Und für mich war es auch sehr interessant, eine Hauptfigur zu kreieren, die gar nicht weiß, dass es ihr schlecht geht. Ich glaube, das ist die reale Situation von vielen Frauen. Wenn man in einem repressiven System gefangen ist, kann man sich sehr gut darin zurechtfinden und einigermaßen glücklich sein. Und dann braucht es einen kleinen Anstoß von außen, der das ganze Gebäude zusammenkrachen lässt.

„Ich habe wirklich manchmal das Gefühl, es gibt einen Krieg gegen den Körper der Frau.“

Ein solcher Anstoß ist ja zum Beispiel die Yoni-Session. Warum ist Dir das Thema Sexualität für diese Geschichte so wichtig?

Für mich hängen Sexualität und Politik sehr eng zusammen und ich glaube zutiefst, dass das Private politisch ist und die sexuelle Befreiung Hand in Hand geht mit der politischen Befreiung der Frauen. Und dass man nicht unterschätzen darf, wie wichtig es ist, dass Frauen eine gesunde Beziehung zu ihren eigenen Körpern haben, dass sie ihre Vaginas und Vulvas kennen und lieben. Man kann überhaupt keinen Film über Frauenrechte machen, ohne deren Körper und Sexualität miteinzubeziehen. Ich habe wirklich manchmal das Gefühl, es gibt einen Krieg gegen den Körper der Frau und zwar nicht nur den sexuellen Körper der Frau, sondern allgemein: Wie sie riechen soll und all diese Dinge.

Diese zauberhaften Postkarten gehören zum Merchandise für DIE GÖTTLICHE ORDNUNG © Filmlöwin

Der Körper der Frau und insbesondere ihre Vulva sind ja immer noch ein kontroverses Thema.

Das ist hoch aktuell. Eine Schönheitsoperation, die in den letzten Jahren immer populärer wurde, ist die Labioplastik, dass also Mädchen ihre Vulven operieren lassen, weil sie unglücklich damit sind, wie sie aussehen. Sie werden normiert und merken nicht mehr, dass Vulven wirklich wie Schneeflocken sind: Jede ist anders und jede ist wunderschön auf ihre Art.

In der Yoni-Szene wurde im Publikum besonders viel gelacht. Was meinst Du woran das liegt?

Ich glaube, aus verschiedenen Gründen. Die Frauen lachen, weil die drei Filmheldinnen etwas überfordert wirken und manche lachen, weil sie solche Kurse mitgemacht haben und sich erinnern. Das wurde mir öfter erzählt. Aber ich glaube, die Szene hat nicht nur Humor, sondern auch Schmerz. Es ist auch eine todtraurige Szene, wenn eine Frau sich noch nie gesehen hat, noch nie einen Orgasmus hatte.

„Es ist wichtig, dass es wieder eine physische Bewegung gibt.“

Der Film ist ja sehr aktivierend und empowernd. Aber gibt es heute noch etwas, für dass es sich lohnt auf die Straße zu gehen?

Ja! Es fängt an bei der Lohngleichheit. Es ist absurd, dass wir das noch nicht haben. Und überhaupt gegen Ungerechtigkeit. Der Feminismus ist ja eine soziale Bewegung. Es lohnt sich auch dafür auf die Straße zu gehen, dass Männer bei ihren Kindern sein dürfen und dass Männern nicht erzählt wird, dass sie kein Mann sind, wenn sie so und so sind. Für all diese Dinge. Und ich glaube auch, es ist wichtig, dass es wieder eine physische Bewegung gibt. Ich habe gemerkt, zum Beispiel in Washington oder New York, wenn so viele Leute auf die Straße gehen, hat das eine Kraft. Und mein Film ist auch ein Plädoyer für diesen körperlichen Widerstand. Dass man nicht nur zu Hause sitzt und etwas auf Facebook liket, sondern dass man wieder rausgeht und physische Präsenz zeigt.

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Ich finde es spannend, dass „Frauen*themen“ im Kino in den Mainstream dringen.

Ja, die kommen. Ich hab jetzt eine Agentur in Hollywood und die schickt mir Stoffe: alles interessante Frauenstoffe. Also die Menschen in Hollywood haben gemerkt: Ok, man kann irgendwie Geld machen mit Frauengeschichten.

Passiert das auch in Deutschland oder in der Schweiz?

Ich glaube schon, aber es ist nicht so bewusst. In Hollywood gab es seit Jahren so viele Schauspielerinnen und Regisseurinnen, die sich dazu geäußert geäußert haben. Und langsam ist es angekommen, dass man auch mit Frauenfilmen, wie zum Beispiel Hidden Figures, viel Geld verdienen kann. Man muss gucken, wie sich das jetzt entwickelt. Es gibt gerade eine Welle, das kann man definitiv sagen, auch in Deutschland. Ich bin bei Pro Quote Regie und da kommt langsam etwas in Bewegung.

Gerade im Fernsehen erscheint mir das sehr schwergängig. Ich fände es toll, wenn Du mal eine Serie machen würdest!

Ich mach gerade eine: Frieden behandelt die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg, auch ein dunkles Kapitel in unserer Geschichte. Es wird eine schweizer-deutsche Koproduktion. Es geht unter anderem auch um eine junge Frau, die sich in kürzester Zeit aus ihrer Ehe löst und abhaut. Es werden sechs Teile a 45 Minuten.

Darauf freue ich mich schon sehr. Und in mir keimt – endlich! – wieder Hoffnung für das deutsche Fernsehen. In diesem Sinne Danke: Danke, Petra Volpe, für dieses Interview, aber vor allem für Deine Filme!

Sophie Charlotte Rieger
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