GUT GEBRÜLLT: Cady McClain – Seeing Is Believing: Women direct

Wäre die FILMLÖWIN ein Film, wäre das wohl Seeing Is Believing: Women direct. Regisseurin Cady McClain ist durch die Welt gereist und hat Interviews mit fast 50 Filmemacherinnen geführt. Entstanden ist ein fünfstündiger, in Episoden unterteilter Dokumentarfilm über die Karrieren verschiedener Filmfrauen, über Leidenschaft, Hürden und die Motivation nicht aufzugeben.

Als ich von dem Projekt und seiner Crowdfunding-Kampagne erfuhr (die läuft noch, also MITMACHEN!), war ich aus offensichtlichen Gründen Feuer und Flamme und schrieb Cady umgehend eine Email. Zu meiner großen Freude war sie sofort bereit, mir ein paar Fragen zu beantworten – über ihre persönliche feministische Biographie, über die Hürden von Filmemacherinnen, aber auch über ihre Hoffnungen und Träume.

© Courtney Lindberg

© Courtney Lindberg

„Irgendwie kam mir nie die Idee, dass ich als Frau Regisseurin werden könnte.“

Filmlöwin: Was hat Dich zum Medium Film geführt?

Cady: Meine Mutter war Künstlerin und so drehte sich bei uns alles um Bilder und Kunst. Ich bin in Los Angeles damit aufgewachsen, in Gallerien und Museen zu gehen. Wir waren auch oft in Arthaus Kinos, um alte schwarz-weiß Filme auf der großen Leinwand zu sehen. Als ich mit 17 nach New York zog, habe ich neben meinem Brotjob wahnsinnig viel Zeit damit verbracht, durch Filme die Welt zu entdecken. Aber irgendwie kam mir nie die Idee, dass ich als Frau Regisseurin werden könnte, bis mich jemand darum bat, ein Drehbuch von mir verfilmen zu dürfen und meine direkte Antwort war: „NEIN!“

Im Leben jeder Feminist_in gibt es einen Wendepunkt, den Moment, in dem wir realisieren, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Was war Dein persönlicher feministischer Wendepunkt?

Vor ein paar Jahren habe ich als Schauspielerin an einem vermeintlich professionellen Set gearbeitet und ein Regisseur, den ich schon etwa 15 Jahre kannte, machte vor dem gesamten Team einen anzüglichen Witz über meine Brüste. Das war schrecklich unangemessen. Am Set herrschte durchaus eine Stimmung für derlei Scherze, aber er und ich hatten uns niemals darauf geeinigt, dass Witze dieser Art in Ordnung seien. Als darauf noch weitere Kommentare und Witze auf meine Kosten folgten, entgegnete ich irgendwann: „Und wie geht’s Deiner Frau?“ Er verstand sofort, dass er eine Grenze überschritten hatte. Obwohl er sich niemals entschuldigte, hörten die Sticheleien auf.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon zwei Emmys. Es deprimierte mich, dass ich als erfolgreiche Schauspielerin immer noch diesem erniedrigenden Geschwätz ausgesetzt war. Ich glaube, in gewisser Weise halten sich diese Männer für charmant, aber es ist eigentlich ziemlich offensichtlich, dass es nur darum geht, ihre Macht zu demonstrieren. Das sagt eigentlich mehr über sie als über mich aus, aber zu der Zeit hat mich das sehr deprimiert.

© Xaviera Lopez

© Xaviera Lopez

„Nur eine Idee und ein Machtwort.“

Woher kam die Idee zu SEEING IS BELIEVING?

Nach diesem Job musste ich erst einmal darüber nachdenken, ob ich mich weiterhin dieser Objektifizierung aussetzen wollte, die mit dem Beruf der Schauspielerin einhergeht. Mir wurde bewusst, wir stark sich die wenigen Regisseurinnen, mit denen ich gearbeitet hatte, gegen die Infragestellung ihrer Autorität und fachlichen Entscheidungen hatten zur Wehr setzen müssen.

Ich war gerade dabei, bei der Produktion eines Kurzfilms zu arbeiten, in dem mein Mann mitspielte, als mir die Idee kam: „Ich sollte einen Film über Regisseurinnen machen.“ Ich erzählte es einer Frau am Set, die seit Jahren in der Produktion arbeitete. Und die schaute mir fest in die Augen und sagte einfach nur: „Mach das!“

Und das war’s. Kein großer Entwicklungsprozess. Nur eine Idee und ein Machtwort. Ich habe mir eine Kamera gekauft, mir selbst beigebracht sie zu bedienen, und einfach alleine angefangen Interviews zu führen.

Was ist Dein Ziel? Welche Reaktion erhoffst Du Dir auf Deinen Film?

Ich will, dass Frauen, die zweifeln, die sich das Regieführen nicht zutrauen, von einer tiefen Leidenschaft für das Erzählen erfasst werden. Ich würde gerne hunderte Geschichten von Frauen hören, die ihre Leidenschaft begraben hatten, aber nach dem Film bereit sind Risiken einzugehen, um sie zu verfolgen. Das wäre wundervoll.

„Das verkauft sich nicht“

Was ist Deiner Meinung nach das Hauptproblem von Frauen in der Filmindustrie heute?

Die größte Hürde stellen aktuell internationale Märkte und Investoren dar. Allein auf nationaler Ebene kann ein Film seine Produktionskosten nicht einspielen. Deshalb ist der internationale Markt für das Budget entscheidend, was wiederum bedeutet, dass ausländische Investoren einen großen Einfluss darauf haben, wer bei einem Film Regie führt. Ich habe gehört, dass weniger in Filme investiert wird, bei denen Frauen Regie führen oder in denen es um Frauen geht. Die Investoren sagen dann „Das verkauft sich nicht“. Sie sagen, dass ein Film sich nur mit einem starken Hauptdarsteller und einem männlichen Regisseur verkauft.

Der Diskurs um Frauen in der Filmindustrie ist vergleichsweise jung. Warum, glaubst Du, hat es so lange gedauert, bis wir hierin ein Problem gesehen habe haben?

Ich glaube, viele Menschen, vor allem Frauen, wissen schon lange, dass es da ein Problem gibt, aber sie dachten immer, das würde sich mit der Zeit ändern. Das tat es aber nicht. In meinem Interview mit Lesli Linka Glatter sagte sie, dass sie in den 90ern niemals damit gerechnet hätte, dass sich die Statistiken in den kommenden 25 Jahren nicht ändern würden. Und das ist ja auch klar: Frauen machen ihre Sache gut und es ist nur logisch zu denken, dass sie schon in andere Bereiche vordringen und Karriere machen werden. Es ist nicht normal, dass das nicht geschieht, sondern es deutet auf die „gläserne Decke“ hin.

„Es ist eine verdrehte Welt, die uns Film und Fernsehen präsentieren.“

Was antwortest Du, wenn jemand fragt: Warum brauchen wir denn mehr Regisseurinnen?

Hier wird es brenzlig, denn es gibt diese Tendenz, Regisseurinnen zu generalisieren. Die vorurteilsbehaftete Sichtweise sagt, dass Frauen eine „sanftere Herangehensweise“ haben, „emotionaler“ sind, was meiner Erfahrung nach totaler Bullshit ist. Frauen können genauso taff oder gar taffer sein als jeder Kerl. Man muss sich nur mal ein Mädchen-Lacrosse Spiel ansehen: Furchteinflößend!

Aber es ist eine verdrehte Welt, die uns Film und Fernsehen präsentieren. Wir brauchen mehr Regisseurinnen, weil Frauen eine etwas andere Perspektive auf die Welt haben, eine Perspektive, die mit unserem Geschlecht zusammenhängt. Die Welt braucht einen Zugang zu dieser Perspektive, denn ohne sie gibt es nur Geschichten, die die Lebensrealität von 50-51% der adressierten Menschen ausblendet. Wir sind nicht besser, wir sind nicht schlechter. Wir sind einfach ein bisschen anders und zwar auf eine faszinierend vielfältige Weise. Keinen Zugang zu dieser Realität und Kreativität zu haben, ist einfach nur tragisch.

Der kleine Anteil von Frauen an der Regie ist ein internationales Phänomen und von Schweden abgesehen, wo das Filminstitut eine 50/50 Förderung durchgesetzt hat, scheint sich kein anderes Land damit wirklich auseinanderzusetzen? Warum ist das wohl so?

Ich glaube, es hat viel mit Scham zu tun. Frauen, die sich dazu äußern, werden oft bloßgestellt und Männer, die ihren privilegierten Status genießen, wollen nicht in diese Situation kommen. Es ist auch die ökonomische Situation, die für Frauen und Männer schwierig ist. Es ist schwer einen Job zu finden, noch schwerer, ihn zu behalten. Also warum sollten Männer sagen: „Oh, entschuldige, dass ich hier so viel Raum einnehme“, wenn sich ohnehin schon alle die Ellenbogen in die Rippen fahren? Was Schweden gemacht hat, ist revolutionär. Sie haben die Karten neu gemischt. Aber Amerika ist von Grund auf kapitalistisch, unsere Karten neu zu mischen erfordert einen anderen Ansatz. Wir werden den Diskurs dominieren müssen, um überhaupt gehört zu werden.

„Sei Teil der Lösung“

Was könnte oder sollte getan werden, um den Status quo zu verändern? Und was kann jede_r von uns tun?

Ich glaube, jeder Mann und jede Frau kann Einfluss auf Geschlechterfragen nehmen, jeden Tag aufs Neue. Das ist auch eine sehr persönliche Sache: Frauen müssen Positionen und Rollen verlassen, in denen sie unterdrückt werden. Was jede_r machen kann, ist, sich über Regisseurinnen zu informieren. Es gibt so viele! Suche nach Deinen Favoriten, schau ihre Filme, verfolge ihre Karriere. Frag bei Deiner Zeitung oder anderen Medien nach, ob sie nicht mehr zu diesen Regisseurinnen und ihren Filmen bringen können. Und sei Teil der Lösung: Behandle Männer und Frauen gleich. Ich mag dieses „Frauen sind besser als Männer“-Gequatsche nicht. Es dreht den ganzen Bullshit einfach nur um. Mach bei diesem Blödsinn nicht mit.

Eine feministische Filmfee gibt Dir drei Wünsche frei:

Ich wünsche mir, dass Menschen aufhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen.

Ich wünsche mir, dass sich die Medien auf die Qualität eines Films konzentrieren und nicht den Gewinn als Marker für den Erfolg heranziehen.

Und ich wünsche mir, dass mehr Menschen ins Kino gehen. Einen guten Film mit vielen Menschen zusammen zu sehen ist unvergleichlich. Und die Fähigkeit des Mediums Film, uns Empathie zu entlocken, ist umso größer, wenn wir diese empathische Erfahrung in der Gruppe machen.

Sophie Charlotte Rieger
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