FRAUENKINO = PROBLEMKINO?

Dieser Text erschien erstmalig bei kino-zeit.de.

Wieso machen Frauen* eigentlich immer Problemfilme? Diese Frage ist freilich mehrfach ungeschickt formuliert. Sie bedient sich auf unverschämte Weise der Verallgemeinerung und der Terminus „Problemfilm“ hat einen ziemlich faden Beigeschmack. Mal ganz abgesehen davon, dass sich allein über den Begriff „Frau“ hier schon streiten ließe. Aber völlig daneben zielt die Frage trotzdem nicht.

Vor kurzem besuchte ich zum ersten Mal in meinem Leben ein reines Frauenfilmfestival, namentlich das Flying Broom International Women’s Film Festival in Ankara. Auch hier war das Programm von Dramen geprägt, von gesellschaftskritischen Themen und dem Blick auf Menschen, die im Mainstreamkino oft keinen Platz finden. Das ist natürlich erst einmal sehr löblich. Ich habe überhaupt nichts dagegen einzuwenden, statt der 101. Superheldenverfilmung ein Kino mit Herz und Verstand zu sehen, das sich unserer tatsächlichen Probleme ohne Comic-Metapher und humoristische Verfremdung annimmt. An meiner Frage aber ändert dies nichts.

Es lässt sich recht schnell eine Teilantwort im Sexismus der Filmindustrie finden, denn alles spricht dafür, dass Regisseurinnen das Budget für große Blockbuster einfach ungern in die Hand gegeben wird. Dies könnte zumindest erklären, warum hinter den großen Hollywood-Kassenschlagern auch heute – im Jahr 2014 – noch immer mehrheitlich Männer* stehen (Wer an dieser Behauptung Zweifel hat, kann sie gerne Anhand des letzten Berichts des Center for the Study of Women in Television & Film überprüfen). Ich glaube jedoch, dass die weibliche* Neigung zu „Problemfilmen“ mehr als nur eine Notlösung ist. Frauen* machen nicht nur unabhängiges Arthaus-Kino weil sie keine andere Wahl haben, sondern auch deshalb, weil sie es wollen!

© Happiness Distribution

For Those Who Can Tell No Tales © Happiness Distribution

Anders jedenfalls ließen sich wiederkehrende Themen im weiblich verantworteten Film nur schwer erklären. So sind es beispielsweise insbesondere Frauen, die sich der filmischen Repräsentation der Jugoslawienkriege angenommen haben: sowohl Isabel Coixet in Das geheime Leben der Worte wie auch Angelina Jolie mit In the Land of Blood and Honey oder kürzlich Jasmila Zbanic, deren Film For Those Who Can Tell No Tales auch in Ankara zu sehen war. Wenn auch auf völlig unterschiedlichem Wege nähern sich all diese Filme dem Krieg zwischen Serbien und Bosnien aus einer spürbar weiblichen* Perspektive an. Sie machen den Zuschauer auf einen grausamen Nebenschauplatz aufmerksam und thematisieren die systematischen Vergewaltigungen, die im Zuge dieser Kriege stattfanden.

In diesem Fall braucht es vielleicht tatsächlich den weiblichen Blick, nicht nur um das Thema überhaupt aufzugreifen, sondern auch, um es mit der notwendigen Sensibilität zu behandeln. Ein Blick auf den internationalen Wettbewerb in Ankara bestätigt diese Annahme. Da findet sich beispielsweise ein Film wie Bobo von Ines Oliveira, der sich auf immens zurückhaltende Art und Weise mit dem Thema Genitalverstümmelung auseinandersetzt. Oder auch Zhanna Issabayevas Drama Nagima, das die Not und Verzweiflung zweier Waisenmädchen in Kasachstan thematisiert. Andere Filme widmen sich ebenso gravierenden, wenn auch weniger weiblich* zentrierten Problemen unserer Gesellschaft wie der Euthanasie (Honey) oder der Atomenergie (Grand Central). Unter den insgesamt zwölf Filmen findet sich nur ein Film, dem eine gewisse Leichtigkeit bescheinigt werden könnte. What They Don’t Talk About When They Talk About Love erzählt verschiedene „Coming of Age“- und Liebesgeschichten, die sich in einem Internat für Sehbehinderte abspielen. Wenn auch weniger dramatisch im Grundtenor, widmet sich Regisseurin Mouly Surya hier immer noch einer sozial marginalisierten Bevölkerungsgruppe, die im Mainstreamkino zu wenig Repräsentation erfährt. Am Ende ließe sich ihr Film daher trotzdem als „Problemfilm“ im weitesten Sinne beschreiben.

männer zeigen filme 2

Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste © Missingfilms

Woher aber kommt diese Vorliebe für schwere und deprimierende Themen? Als ich kürzlich Isabell Suba zu ihrem Film Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste interviewte, formulierte sie hierzu eine recht vorsichtige These: „Frauen gehen anders mit dem Gedanken an Leben und Gemeinschaft um, ganz automatisch, weil sie anders leben, spüren und geben können.“ An diese Aussage schließen allerdings neue Fragen an: Wieso gehen Frauen* anders mit diesen Gedanken um? Wieso spüren sie anders? Was unterscheidet denn das Erleben eines männlichen* Filmemachers von einer weiblichen* Filmemacherin?

Die Antworten fand ich in einer Diskussion der Teilnehmerinnen des Flying Broom Frauen*filmfestivals. Frauen* unterschiedlicher Professionen kamen zusammen, um über ihre Arbeit sowie die damit verbundenen Probleme und Wünsche zu sprechen. Die finnische Regisseurin Taru Mäkelä (August Fools) beispielsweise berichtete, sie habe in den 80er Jahren auf Grund ihres Geschlechts nicht Regie studieren können und sich deshalb für ein Schnittstudium eingeschrieben. Norma Guevara vom Internationalen Frauenfilmfestival in Creteil ergänzte, in Frankreich würden zwar inzwischen viele Frauen Regie studieren, jedoch anschließend nicht notwendiger Weise auch in diesem Beruf arbeiten. Viele entschieden sich schließlich ebenfalls für den Schnitt oder auch das Schreiben von Drehbüchern. Biket Ilhan (The Miracle) berichtete von den Schwierigkeiten, als Regisseurin einen Produzenten zu finden. „Wir müssen immer ein bisschen mehr machen, um gesehen zu werden“, bemerkte sie. Auch das Flying Broom selbst ist ein Beweis dafür, dass Frauen im Filmbusiness noch immer stärker kämpfen müssen als ihre männlichen* Kollegen, ist es doch in der Türkei das einzige internationale Filmfestival dieser Größe, das nicht vom Kulturministerium unterstützt wird. Mira Fornay (My Dog Killer), selbst große Kritikerin des betont feministischen Films und der Idee reiner Frauenfilmfestivals, brachte es schließlich auf den Punkt: „In der Türkei oder Ägypten wird Frauen auf Grund ihres Geschlechts gesagt, sie könnten keine Filme machen. In dem Fall macht es natürlich Sinn, feministische Festivals beziehungsweise Frauenfilmfestivals zu veranstalten.“

my dog killer

My Dog Killer © Temperclayfilm

Das Erleben einer Filmemacherin unterscheidet sich von dem ihrer männlichen* Kollegen und die Probleme, die Frauen* auf ihrem beruflichen und vielleicht auch privaten Weg erfahren, führen nicht nur zu einem gesteigerten Interesse an feministischen Filmen, sondern auch zu einer erhöhten Sensibilität für die Probleme anderer Menschen. Frauen* machen keine „Problemfilme“, weil es ihnen im Blut liegt, sondern unter anderem deshalb, weil sich hierin ihre eigene Erfahrungswelt widerspiegelt. Gegen künstlerisch wertvolle Filme ist nichts einzuwenden, doch das Ziel des „Filmfeminismus“ ist ein anderes. „Die Nische des Arthaus Films kann auch ein Ghetto sein“, sagte Taru Mäkelä am runden Tisch in Ankara. „Und wir sollten nicht freiwillig da hinein gehen.“ Recht hat sie. Es spricht schließlich nichts dagegen, die erhöhte Sensibilität der Filmemacherinnen für gesellschaftliche Missstände ins Mainstreamkino zu überführen. Im Gegenteil: So manchem Blockbuster würde ein bisschen mehr Tiefe durchaus gut tun.

Sophie Charlotte Rieger
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