Fräulein Julie

Ein Theaterstück für das Kino zu adaptieren ist keine leichte Aufgabe. Bühne und Leinwand unterscheiden sich vehement in ihren Möglichkeiten, aber auch in ihrer Wirkung, weshalb eine Inszenierung niemals eins zu eins von einem Medium auf das andere übertragen werden kann. Regisseurin Liv Ullmann hat sich in Fräulein Julie dennoch dafür entschieden, der Vorlage möglichst treu zu bleiben, das Kammerspiel als solches zu belassen und auch die Schauspieler_innen trotz Kamera zu einem betont theatralen Schauspiel anzuleiten – ein Wagnis, das bedauerlicher Weise auf ganzer Linie scheitert.

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Dabei ist die Geschichte von Fräulein Julie (Jessica Chastain) und ihrem Diener John (Colin Farrel), 1889 in Kopenhagen uraufgeführt, im Grunde zeitlos. Die hier verhandelten Klassenunterschiede zwischen der Adligen und ihrem Untergebenen mögen heute in dieser Form keine Rolle mehr spielen, doch gibt es auch in der Gesellschaft das 21. Jahrhunderts noch ausreichend etablierte Machtverhältnisse, auf die jene Konstellation übertragen werden könnte. Auch mit dem Machtkampf der Geschlechter sowie dem Ringen mit der Kontrolle über einander sowie über die eigenen Gefühle können sich Zuschauer_innen damals wie heute identifizieren. Eine aus gesellschaftlicher Sicht als unmöglich definierte Liebe ist ohnehin ein zeitloser Stoff, um Emotionen zu wecken. Doch Liv Ullmann gelingt es nicht, dieses große Potential des Theaterstücks von August Strindberg zu nutzen und die Themen einem zeitgenössischen Publikum zugänglich zu machen.

Das verlassene Herrenhaus, Schauplatz der Ereignisse, gleicht einer Theaterkulisse und auch die Wege, die die Darsteller vor diesem Hintergrund abschreiten, wirken sorgsam choreographiert. Schauspiel wie Inszenierung erinnern in jeder Sekunde daran, dass diese Geschichte ursprünglich für die Bühne geschrieben wurde. Auch in der Adaption des Texts lässt Ullmann die Möglichkeiten des Medium Films ungenutzt, präsentiert lange Dialogszenen ohne Ortswechsel und arbeitet damit gegen die Sehgewohnheiten ihres Publikums. Der sparsame und sehr bewusste Einsatz von klassischer Musik lässt zuweilen vor dem inneren Auge einen musizierenden Orchestergraben auftauchen, der Pausen beim Szenenwechsel „überspielt“, jedoch nicht dazu dient, die Atmosphäre der Inszenierung zu verdichten.

Die Schauspieler_innen geben ihr Bestes, um den Figuren Leben einzuhauchen. Insbesondere Jessica Chastain beeindruckt mit einer emotionalen Tour de Force, die jedoch in der Nüchternheit der Inszenierung immer wieder als Overacting erscheinen muss. Colin Farrel kann als zur Demut erzogener Untergebener zu keinem Zeitpunkt überzeugen, scheint nur dann vollends in seiner Rolle aufzugehen, wenn sich das Machtverhältnis zwischen den Liebenden schließlich umkehrt. Auch Samantha Morton als Johns Verlobte Kathleen bleibt bis zum Ende eine verkleidete Schauspielerin. Es ist jedoch nicht den Darsteller_innen anzulasten, dass sie niemals zu glaubhaften Figuren werden und in gewisser Weise immer als sie selbst erkennbar bleiben. Es ist die steife Inszenierung, die zu keinem Zeitpunkt Authentizität erzeugen kann. Vielleicht will Liv Ullmann hier ganz bewusst entfremden, eine Distanz zwischen Zuschauer_innen und Protagonist_innen erschaffen, um die Geschichte auf eine metaphorische Ebene zu heben, die das Publikum nicht nur konsumiert, sondern auch reflektiert. Insbesondere die langen und elaborierten Dialoge gestalten sich jedoch als große Herausforderung, nicht nur hinsichtlich der Konzentration, sondern auch des Verständnisses der Situation.

In der ersten halben Stunde entwickelt die Interaktion von Julie und John eine fühlbar erotische Spannung. Die Unterwerfungsgesten der Adligen gegenüber ihrem Diener zeugen sowohl von Willkür als auch von sexuellem Verlangen und wecken beim Kinopublikum eine Erwartungshaltung auf das Ausbrechen der Leidenschaft. Dieser Ausbruch jedoch wird letztlich ausgespart. Die narrative Ellipse erschwert das Verständnis der zentralen Liebesbeziehung, da sich im (unsichtbaren) sexuellen Akt das Machtgefälle umkehrt und Miss Julie in die Opferposition gerückt wird. Julie, die im ersten Akt doch das Spiel der Verführung angetrieben hat, wirkt nun überwältigt, ja vergewaltigt gar, als hätte sich der Liebesakt gegen ihren Willen abgespielt. Ihre Versuche, im Machtkampf mit und gegen John wieder die Oberhand zu gewinnen scheitern fortan an ihrer emotionalen Instabilität. Liv Ullmann gelingt es nicht, diese Entwicklung der Charaktere zu erklären. Fast wirkt es, als interessiere sie sich nicht für die innere Logik der Ereignisse, als ginge es nur um ein Präsentieren derselben, ohne sie zu durchdringen. Fräulein Julie bleibt somit in gewisser Weise oberflächlich und fordert die Zuschauer_innen auf, die Geschichte nicht emotional, sondern stets intellektuell zu begreifen und zu hinterfragen. In diesem nüchternen Setting jedoch können die von Chastain und Farrel dargestellten Emotionen nur maßlos überzeichnet wirken. Fast empfindet man Mitleid für die beiden Darsteller, deren ungeheure Energien in diesem Setting wirkungslos verpuffen.

Liv Ullmanns blutleere Inszenierung macht die Unterschiede zwischen Theaterbühne und Kinoleinwand besonders deutlich. Die verschenkten Möglichkeiten des Medium Films und das verschwendete Potential von Plot und Schauspieler_innen machen nahezu ratlos. Auch wenn der Film Interesse für das Werk August Strindbergs wecken kann, gestalten sich die knappen zwei Stunden theatralen Kammerspiels auf der Leinwand als ungemein ermüdend.

Sophie Charlotte Rieger
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