FFMUC 2017: Un beau soleil intérieur

Warum??? Das denke ich mir immer wieder, während Juliette Binoche als Pariser Künstlerin Isabelle ihren narzisstischen, weinerlichen und egoistischen Liebhabern hinterher läuft. Und kaum habe ich das gedacht, fange ich nervös zu lachen an, weil mir selbige Frage aus den Mündern meiner Freund_innen in den Ohren klingelt.

Es ist genau dieser schmale Grat zwischen beschämender Erkenntnis und Selbstironie auf dem Claire Denis mit Un beau soleil intérieur souverän balanciert. Dabei erzählt sie keine klassische Komödie von Suchen und Finden der großen Liebe, sondern einen manchmal schwer zu ertragenden Reigen von der ewigen Wiederkehr des gleichen Scheiterns, von erwachsenen Menschen, die sich bei dem Versuch aneinander näher zu kommen ständig selbst im Weg stehen. Denn auch Isabelle ist nicht unschuldig.

Selbst wenn wir über ihre Liebhaber herzlich lachen können – und auch das meist auf Grund ihres frappierenden Wiedererkennungswerts – so bleiben sie doch nicht als Schwachmaten-Parade neben einer durchweg imponierenden Powerfrau* stehen. Zum Spielchen spielen gehören immer zwei und Isabelle weiß ihren Teil dazu beizutragen, die verschiedenen Liebesgeschichten ordentlich zu verkomplizieren, worunter sie schließlich am meisten leidet. Das unterscheidet sie von der klassischen US-Komödienheldin, deren Aufgabe es lediglich ist, unter all den Arschlöchern der Welt ihren Prince Charming auszumachen.

© Filmfest München 2017

Für Isabelle gibt es diesen Prince Charming ebenso wenig wie für uns, denn wie uns der Titel mit auf den Weg gibt: Die Sonne ist innen und nicht außen. Wenn wir unser Glück an andere Menschen binden, machen wir uns abhängig und nicht nur unser Wohlergehen, sondern auch unser Leid wird plötzlich durch andere kontrolliert. So wie jede neue Liebschaft Isabelle zu Höhenflügen befördert, lässt sie auch jede Enttäuschung ins Bodenlose stürzen. So wird sie niemals Stabilität erreichen. Daran besteht kein Zweifel.

Das jedoch müssen Isabelle und auch wir erst einmal selbst erkennen. Claire Denis gibt eine klare Richtung vor, aber vom moralischen Zaunpfahl fehlt jede Spur. Die Regisseurin will uns nicht belehren, sondern jenen emanzipatorischen Geist in uns wecken, der ihrer Heldin fehlt. Jeder Mann* hat Isabelle etwas „zu erzählen“. Jeder Mann*, vielleicht sogar jeder Mensch, weiß besser was für sie gut ist als sie selbst. Und sie wiederum saugt die Belehrungen gierig auf wie ein Schwamm, als hätte sie sich selbst keine Weisheiten zu bieten. Aber um ihre Sonne zu finden, muss sie aufhören, den „richtigen“ Männern* zuzuhören und sich einmal selbst zu Wort kommen lassen.

Dass Isabelle im Laufe des Films hierbei im Grunde keinerlei Entwicklung durchmacht, gestaltet sich für das Kinopublikum durchaus strapaziös und dehnt die 90 Minuten Laufzeit auf das gefühlt Doppelte. Die Länge jedoch ist Denis’ Alternative zur konfrontativen Belehrung. Sie bietet genug Raum für eigene Gedanken und Gefühle, Ratschläge an die Hauptfigur und damit letztlich auch an uns selbst. Nicht jede_r mag sich hier gleichermaßen angesprochen und herausgefordert fühlen, aber das lässt sich wohl über jeden Film sagen. Le beau soleil intérieur ist eine Geschichte für Menschen, die an der vergeblichen Suche nach Liebe verzweifeln und die in der Figur der Isabelle sowohl selbstironischen Trost wie auch eine neue Perspektive finden.

© Filmfest München 2017

Und Le beau soleil intérieur ist auch ein Film für Fans von Juliette Binoche (und wer bitte ist das nicht?). Die Kamera, die den Figuren insgesamt räumlich stets sehr nah ist und uns mit diesem engen Fokus stark an die Erfahrungswelt der Hauptfigur bindet, ist sichtlich verliebt in die Hauptdarstellerin, vor allem in ihr Gesicht. Und so sind wir es auch. Die Filmkritikerin Dunja Bialas nutzte Un beau soleil intérieur bei ihrem Auftritt beim Pro Quote Regie Panel beim Filmfest München 2017 dazu, den Unterschied männlichen* und weiblichen* Filmemachens zu widerlegen. Claire Denis, so Bialas, filme genauso Binoches Ausschnitt wie Abbas Kirostami, weshalb sich nicht behaupten ließe, Frauen* hätten einen anderen filmischen Blick auf den weiblichen* Körper. Nun habe ich den entsprechenden Film von Abbas Kirostami nicht gesehen, vermute aber, es ging Kollegin Bialas nicht um einen vorbildlichen Umgang mit Bildern von Brüsten. An welcher Stelle allerdings Claire Denis in Un beau soleil intérieur respektlos oder voyeuristisch mit dem Körper ihrer Heldin umgeht, ist mir schleierhaft. Isabelle mag nackt im Bild sein, doch empfinde ich weder die Tatsache an sich noch die Umsetzung als respektlos oder voyeuristisch. Denis zeigt keinen künstlich geschönten Körper, der eine bloße Hülle bleibt, sondern eine komplexe Figur, die, ja tatsächlich, auch einen Körper besitzt, der in dieser Geschichte von Liebe und Sexualität eine tragende Rolle spielt. Juliette Binoche wirkt niemals jünger als sie ist und strahlt dabei eine atemberaubende, weil authentische Schönheit aus, an der wir uns nicht sattsehen können. Die Schwächen ihrer Hauptfigur machen sie dabei nur umso liebenswerter, weil menschlicher und nahbarer.

Dieser verliebte Blick auf Binoche hat System, ist keine sexistischer Selbstzweck. Denn wenn wir uns selbst so sehen könnten wie die Kamera uns hier auf Juliette Binoche blicken lässt, mit so viel Wohlwollen, so viel Liebe, so viel Begehren, dann fänden auch wir unsere ganz persönliche „beau soleil intérieur“.

Sophie Charlotte Rieger
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