Der PorYes Award 2015 – Viva la Vulva!

Was hat Pornographie bei der FILMLÖWIN zu suchen? Ganz einfach: auch hier handelt es sich um Filme von und über Frauen*. Und nicht nur das, Pornographie trägt maßgeblich dazu bei, wie wir Geschlecht und Sexualität definieren und erleben. Damit ist die feministische Pornographie nicht nur ein Teil, sondern ein Grundpfeiler der Emanzipation. In Abgrenzung an die PorNo-Bewegung der 80er, die Pornographie per se als frauenverachtend einstufte, geht es den feministischen Pornograph_innen um eine Aneignung des Genres, um eine positive Konnotation von weiblicher* Sexualität, um die vielfältigen Möglichkeiten, Sexualität abseits des penetrativen heterosexuellen Geschlechtsverkehrs zu erleben und darum die Diversität von Körpern, sexuellen Identitäten und Fetischen darzustellen. Kurzum: Feministische Pornographie ist sich seiner Wirkung bewusst und hat einen Bildungs- bzw. Aufklärungsauftrag. Was mitnichten – und dies ist ein weit verbreitetes Vorurteil – dazu führt, dass feministische Pornos bieder und langweilig wären. Im Gegenteil!

© Filmlöwin

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Seit 2009 verleihen Dr. Laura Méritt und ihre Mitstreiter_innen im Zweijahresrhythmus den PorYes-Award an Künstler_innen, die sich gemäß der Leitlinien des Preises im feministischen Porno verdient gemacht haben. Auch 2015 waren wieder illustre Gäste zur großen Award Zeremonie in Berlin geladen und die FILMLÖWIN durfte auch dabei sein!

Der Andrang war groß, der große Saal des Kinos in den Hackeschen Höfen bis auf den letzten Platz besetzt. In plüschigen Spenden-Mösen wurde fleißig Geld für die gute Sache gesammelt und gut gelaunte, meist in lila gekleidete Mitarbeitende flitzten von A nach B, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Von Stress jedoch keine Spur, dafür umso mehr Vorfreude.

© Filmlöwin

Das PorYes-Team © Filmlöwin

Laura Méritt und Janina Rook führten gut gelaunt und bilingual durch den Abend und freuten sich von Herzen mit allen Gewinner_innen. Überhaupt ist die Stimmung beim PorYes-Award auf eine liebevolle Weise familiär. Jede_r kennt jede_n, denn die Szene ist noch immer vergleichsweise klein. Und so braucht es keinen Glitzer und Glamour, um der Veranstaltung Größe zu verleihen. Die Begeisterung aller Teilnehmenden für das Thema erzeugt mehr als ausreichend Jubelstimmung und vor allem eine große Portion Charme.

Doch bevor die Preisträger_innen gefeiert werden konnten, sorgte die Erinnerung an die jüngst verstorbene Candida Royal erst einmal für einen andächtigen Moment. Méritt und Rook betonten die Schlüsselrolle Royals für den feministischen Porno und die Darstellung von sexueller Diversität. Ein Ausschnitt aus Afrodite Superstar (diese Woche auch zu sehen beim Pornfilmfestival Berlin) zeigte stellvertretend ihren Einsatz für das black Empowerment in der Pornographie.

Janina Rook und Jennifer Lyon Bell © Filmlöwin

Janina Rook und Jennifer Lyon Bell © Filmlöwin

Aber nun endlich zu den Gewinner_innen: Die erste Auster, Symbol für die im Laufe des Abends mehrfach gefeierte Vulva („Viva la Vulva!“), ging an die Regisseurin Jennifer Lyon Bell für ihren Ansatz des emotionalen Realismus. Bells Filme sind zugleich witzig wie auch lebensnah. Die Authentizität von Emotionen liegt ihr besonders am Herzen, selbst wenn es sich um negative Gefühle wie Nervosität oder Angst handelt. So schafft sie einen emotionalen statt ausschließlich voyeuristischen Zugang zu Pornographie.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt die zweite Gewinnerin des Abends Gala Vanting. Ihre Filme sind dokumentarisch und zeigen Menschen in intimen, sexuellen Situationen, die oft im BDSM-Kontext stehen. Nadeln durchbohren Haut, Blut und Tränen fließen. Im Voice Over begleiten Statements der Protagonist_innen die starken Bilder. Die lyrischen Texte im Stil eines Gedankenflusses ermöglichen nicht nur einen Zugang zur Innenwelt der Menschen auf der Leinwand, sondern erzeugen auch ein Gefühl von Zärtlichkeit. Ihr Film Love Hard, der im vergangenen Jahr auf dem Pornfilmfestival in Berlin zu sehen war, hat mich zugegebener Maßen streckenweise verstört, schließlich aber vor allem berührt.

LOVE HARD TRAILER from Sensate Films on Vimeo.

Mit Buck Angel wurde anschließend ein Mann mit immenser „Pussy-Power“ geehrt. Buck Angel ist nämlich der erste FTM (female to male) Trans-Pornodarsteller ever ever ever, inzwischen auch Produzent und Regisseur wie auch ein Vorbild für viele Transmenschen. Weil sein Körper sogar von der Pornoindustrie als abstoßend deklariert wurde, begann Buck einfach selbst Filme zu drehen. Damit hat er Transmenschen nicht nur zu mehr Sichtbarkeit verholfen, sondern vor allem auch eine Pornographie geschaffen, in der sich Trans- und genderqueere Menschen wiederfinden können. Sein Film Sexing the Transman XXX Vol. 4 läuft übrigens in dieser Woche auch beim Pornfilmfestival. In seiner Porno-Doku interviewt Buck Angel Transmänner über ihren Transitionsprozess und ihr sexuelles Erleben und ergänzt diese Gespräche durch lange, dokumentarische Sexszenen, also rein beobachtende Darstellungen von Sexualität.

Über die Auszeichung von Goodyn Green freute ich mich besonders, da ihr Film Shutter zu meinen Lieblingen beim Pornfilmfestival 2014 gehörte. In ihren Filmen zeigt Green eine herrliche Vielfalt an Körpern und sexuellen Spielarten und all das mit großer Natürlichkeit. Shutter ist ein Wohlfühl-Porno, ein Porno, der ein gutes Gefühl hinterlässt, weil er Kategorien und Normen sprengt und somit vielen Zuschauer_innen eine Identifikationsfläche anstelle einer artifiziellen Abgleichquelle bietet.

Janina Rook, Goodyn Green und Laura Méritt © Filmlöwin

Janina Rook, Goodyn Green und Laura Méritt © Filmlöwin

Last but not least durfte auch Jiz Lee, die Queen of Squirting (= weibliche Ejakulation) eine Auster entgegennehmen. Ein Zusammenschnitt verschiedener Filme zeigte noch einmal ihre Wandlungsfähigkeit, insbesondere in Hinsicht auf Geschlechterrollen. Lee kann sowohl als sinnliche Frau, wie auch als queerer oder gar maskuliner Typ auftreten. Aber welchen Part sie auch spielen mag: erotisch ist sie immer. (Mir ist bewusst, dass sich Jiz Lee nicht als weiblich, sondern als queer definiert. Mir fällt es aber schwer, dies in einem neutralen Pronomen auszudrücken. Wer sich auskennt, darf mich sehr, sehr gerne erleuchten!!)

© Filmlöwin

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Nach der letzten Preisübergabe und der obligatorischen Fotosession ging es dann ab zur After Show Party. Und wie ich so von einer Location zur nächsten spazierte, wurde mir klar, wie gut ich mich fühlte, wie zufrieden mit mir, meinem Körper und meiner Sexualität ich war (bedauerlicher Weise kein Normalzustand). Statt zu demonstrieren wie wir sein und vögeln sollen, spricht feministische Pornographie eine Einladung aus: Für Dich als erotisches Wesen, genauso wie Du bist, gibt es so viel zu entdecken! Und sie gibt uns eine Hilfestellung dabei, wie konsensuelle und verantwortungsvolle Sexualität funktioniert. Kurzum: Ich muss einfach viel mehr feministische Pornos gucken.

Wer jetzt neugierig geworden ist, dem empfehle ich das Berliner Pornfilmfestival, das vom 21. bis zum 25. Oktober im Moviemento Kino in Kreuzberg stattfindet. Und für die Nicht-Berliner_innen habe ich hier noch einmal eine kleine Linkliste zusammengestellt. Viel Spaß damit!

Sophie Charlotte Rieger
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