Blockbuster-Check: Mockingjay Teil 2

Die Tribute von Panem beziehungsweise Hunger Games sind bereits allgemein als emanzipatorisch wertvolles Franchise bekannt. Und trotzdem, nein, gerade deswegen möchte ich den aktuellen Film Mockingjay: Teil 2 meinem Blockbuster-Check unterziehen. Denn der letzte Teil der Reihe zeigt besonders eindrucksvoll, wie einfach es ist, Unterhaltungskino ohne Sexismus zu konzipieren.

© Studiocanal

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Held_innen

Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) ist die Heldin des ganzen Franchise. Dabei spielt ihr Geschlecht eine erfreulich und auch erstaunlich untergeordnete Rolle, so wie ihre amourösen Verwicklungen einen vernachlässigbaren Subplot darstellen. Oder anders formuliert: Natürlich hat Katniss auch Gefühle, aber die Suche nach „dem Richtigen“ ist in dieser Geschichte nicht ihre Mission, sondern eine Begleiterscheinung. Mockingjay: Teil 2 zeigt in diesem Zusammenhang sehr eindrucksvoll, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob sich zwei Männer um eine Frau streiten oder sich eine Frau zwischen zwei Männern entscheiden darf. Katniss bleibt auch in der Dreiecksgeschichte zwischen Peeta (Josh Hutcherson) und Gale (Liam Hemsworth) stets aktiv und wird nicht zum Wanderpokal für den geilsten Kerl, wie dies beispielsweise in Twilight der Fall ist. Zudem darf Katniss hier als Frau auch moralisch kritikwürdig agieren. Ihr Verhalten gegenüber Peeta hat über die gesamte Reihe hinweg immer wieder Fragen aufgeworfen und es sind eben jene Zweifel an ihrer Person, die sie schließlich menschlich und sympathisch erscheinen lassen.

Neben Katniss kämpfen eine Vielzahl starker Frauen und Männer, wobei auch hier ihr Geschlecht im Grunde keine Rolle spielt. Doch dazu später mehr.

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Gegenspieler_innen

Zu Beginn erscheint Mockingjay: Teil 2 als eine Mär vom Kampf des weiblichen gegen das männliche Prinzip. Auf der einen Seite steht der faschistoide Herrscher Snow (Donald Sutherland), auf der anderen die Anführerin der Rebellen, Präsidentin Coin (Julianne Moore). Das männliche Prinzip des ersten Distrikts beziehungsweise des Kapitols ist das der Hierarchie, der Kategorisierung der Menschen in mehr oder weniger wertvolle Gruppen. Der Wert dieser Gruppen wiederum manifestiert sich im äußerlichen Erscheinungsbild, wobei Schönheitsideale eine dominante Rolle spielen. Es braucht kein Kulturwissenschaftsstudium um hierin eine scharfe Kapitalismuskritik zu lesen. Ein zweites Prinzip im politischen System Snows ist das der Dominanz und Manipulation, die Herrschaft eines Einzelnen über Viele, die wiederum durch Propaganda und Sanktionen in der vorgeschriebenen Spur gehalten werden.

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Doch bildet Präsidentin Coin hierzu wirklich einen Gegenpol?

Nein. Präsidentin Coin arbeitet mit denselben Machtstrukturen, der selben Form der medialen Manipulation wie Snow und mit dem Fortschreiten der Geschichte zeigt sich mehr und mehr, dass ihre Vision keine echte Alternative zu dem bisherigen Kastensystem darstellt, dass Macht und Gewalt auch weiterhin die Prinzipien einer Regierung sein werden, die sich über die Meinung, Bedürfnisse und politischen Anliegen ihrer Bürger_innen hinwegsetzt. Auch Frauen* perpetuieren also das Patriarchat. Emanzipation ist nicht allein damit vollzogen, Frauen* in Schlüsselpositionen zu besetzen, weil es bei „männlich“ und „weiblich“ eben nicht um biologisch festgeschriebene Eigenschaften, sondern ein kulturelles Konzept geht.

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Geschlechterrollen allgemein

Bereits in den ersten fünf Minuten treten in Mockingjay: Teil 2 mehr Frauenfiguren auf als vermutlich im gesamten aktuellen James Bond Film: Katniss, ihre Schwester Prim, eine Ärztin und natürlich Präsidentin Coin. Auch im weiteren Verlauf des Films fällt das ausgewogene Geschlechterverhältnis in jeglichen Gruppen- und Massenszenen auf. Egal, ob es sich um politische Versammlungen oder militärische Einsätze handelt: Stets sind eben so viele Frauen* wie Männer* vertreten. Männliche* und weibliche* Eigenschaften spielen hierbei eine untergeordnete Rolle und werden in vielen Fällen vollständig ignoriert. Keine der Soldatinnen wirkt schwächer als ihre männlichen* Kollegen, muss beschützt oder besonders unterstützt werden. Insbesondere in Gefechtszenen lösen sich Geschlechterkategorien vollständig auf. Dass Katniss durch ihre Mitstreiter_innen besonderen Schutz erfährt, hat nichts mit ihrem Geschlecht, sondern ausschließlich mit ihrer zentralen Rolle im politischen Kampf zu tun. Während die Frauen* nicht notwendiger Weise schwach sind, gesteht Mockingjay: Teil 2 wiederum den Männern diese vermeintlich weibliche* Eigenschaft zu. Sie dürfen Angst haben, weinen, zittern.

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Nicht zuletzt ACHTUNG SPOILER entscheidet sich Katniss am Ende des Films nicht für den tapferen Haudrauf Gale, sondern für den zarten Peeta. SPOILER ENDE Das Verhältnis zwischen den Liebenden entsteht hierbei vollständig auf Augenhöhe und folgt dem Motto „We’re keeping each other alive.“ Nicht der Mann* beschützt die Frau*, sondern Mann* und Frau* beschützen sich gegenseitig.

Aus den übrigen Figuren möchte ich insbesondere Cressida (Natalie Dormer) hervorheben. Sie inszeniert die Propaganda-Videos des Widerstands, ist also Regisseurin. In Die Tribute von Panem hat die Welt bereits etwas verstanden, das Filmlöwinnen in der Realität immer wieder von neuem betonen müssen: Women make great films.

Auffällig ist auch die starke Präsenz weiblicher Anführerinnen, zu denen neben Präsidentin Coin auch Commander Paylor (Patina Miller) und Commander Lyme (Gwendoline Christie) gehören.

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Dresscode und Sexappeal

Mockingjay: Teil 2 kommt ohne die Sexualisierung einer Figur aus. Hier wird die Objektifizierung der Frau also nicht umgedreht und auf den Mann gerichtet, sondern es findet schlicht und einfach keine Objektifizierung statt. Und siehe da: Der Film macht trotzdem großen Spaß! Die Kleidung der Soldat_innen ist von ihrem Geschlecht vollkommen unabhängig. Frauen* tragen hier nicht wie in anderen Science Fiction Szenarien besonders figurbetonte und aufreizende Overalls. Und selbst im Kapitol, wo Äußerlichkeiten eine dominante Rolle spielen, lässt sich kein Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellen. Die Herren* legen ebenso viel Wert auf ein originelles Äußeres wie die Damen* und alle wirken dabei gleichermaßen affektiert.

Einzig die Keilabsätze, mit denen Katniss am Ende durch den Schnee stapft, sind wirklich vollkommen unnötig. Das muss ich hier leider einräumen.

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Dramaturgie

Eine Geschichte, die keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht, wird automatisch auch durch Frauen* und Männer* gleichsam vorangetrieben. Bei Die Tribute von Panem ist es jedoch vor allem die starke Heldin, die hier den Verlauf der Dinge bestimmt, in Mockingjay: Teil 2 maßgeblich „unterstützt“ von Präsidentin Coin, die durch ihre Befehlsgewalt auch einen großen Einfluss auf die Storyline ausübt. Im Grunde ist es in diesem Teil Präsident Snow, der passiv bleibt, in seinem Palast sitzt und nur auf die Angriffe der Rebellen reagiert anstatt zu agieren.

Botschaft

Emanzipation bedeutet nicht, Frauen die Rollen von Männern zu übertragen. Emanzipation bedeutet, diese Rollen und das darunter liegende System zu dekonstruieren, um etwas Neues zu schaffen.

Gesamtwertung: 10

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

 

Sophie Charlotte Rieger
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