Berlinale 2017: Barrage

Es ist eine beliebte Mär der heutigen Zeit: Eine junge Frau* kehrt in ihr Elternhaus zurück, wo nur noch ihre Mutter mit einem kleinen Kind lebt. Dieses Kind erweist sich als der Sohn oder die Tochter der jungen Frau*. Es gibt einen Konflikt zwischen Mutter, Großmutter und Kind: Wer hat Schuld, wer ist gut oder böse? Am Ende haben sich idealer Weise alle lieb, manchmal auch nicht. Eine andere Variante derselben Geschichte führt nur eine einzige Mutter in die Geschichte ein. Die junge Frau* kehrt zurück oder wird von ihrem Nachwuchs aufgesucht, sie muss sich als gute Mutter beweisen und meistens gelingt ihr das. Für beide Storylines gibt es zahlreiche Beispiele: Talea, Lotte (Frauennamen im Titel scheinen sich für dieses Konzept besonders gut zu eignen) sowie auch diverse Fernsehfilme wie der SWR-Tatort aus Freiburg mit Heike Makatsch in der Rolle der Rückkehrer-Mutter.

© Red Lion

In diesem Kontext ist Laura Schroeders Barrage, zu sehen im Forum der Berlinale 2017, alles andere als originell. Auch hier kehrt eine junge Frau, Catherine (Lolita Chammah), nach langer Abwesenheit zurück nach Hause. Dort hat sich ihre Mutter Elisabeth (Isabelle Huppert) der Enkeltochter Alba (Themis Pauweis) angenommen und erzieht sie zu eben jener Profi-Tennisspielerin, die Catherine hätte werden sollen, bevor sie… ja, was eigentlich? Das gilt es nun in diesem langsamen und leisen zweistündigen Familiendrama zwischen den Zeilen zu erzählen. So ganz gelingt das nicht. Weshalb Catherine so lange abwesend war, klärt sich nicht im Detail auf. An ihrem Versagen als Mutter jedoch besteht kein Zweifel. Aber auch Elisabeths doppelte Mutterrolle bleibt nicht unangefochten. Die arme Alba scheint sich bei ihrer Wahl der Erziehungsberechtigten nur für das kleinere Übel entscheiden zu können.

Woher nur kommt die Faszination mit den schlechten Müttern? Weshalb häufen sich diese Figuren derart in Film und Fernsehen, während Väterfiguren einen glorifizierenden Aufschwung erfahren? Schon vor drei Jahren war mir beim Schlingel Festival für Kinder- und Jugendfilme die eklatante Abwesenheit von positiv konnotierten Mutterfiguren aufgefallen. Damals hatte ich mir dieses Phänomen mit der allgemeinen Marginalisierung weiblicher* Filmfiguren erklärt. Drei Jahre und zahlreiche Filme über abwesende und schlechte Mütter später bin ich mir dessen nicht mehr so sicher.

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Was mich an Laura Schroeders Barrage erheblich stört, ist die Alternativlosigkeit kritikwürdiger Mutterschaft. Elisabeth ist mehr eine Trainerin denn eine liebevolle Mutter und Catherine wirkt zu keinem Zeitpunkt der Geschichte wie eine verantwortungsvolle Betreuungsperson, sondern hochgradig labil und unberechenbar. Dabei gesteht Laura Schroeder ihren Charakteren nur minimale Entwicklungen zu, die wiederum unvermittelt und schwer nachvollziehbar geschehen. Infolgedessen ist keine der älteren Frauen* in der Lage, sich von der Rolle der Rabenmutter zu befreien. Auch eine positive Zukunftsperspektive kann das Ende des Films nur sehr bedingt anbieten. Wo es keinen glaubwürdigen Wendepunkt von der scheiternden zur bewundernswerten Mutterfigur gibt, bleibt die Anklage gegen die Frauen*figuren der Geschichte mahnend im Raum stehen.

Laura Schroeders Film lässt sich natürlich nicht alleinig dafür kritisieren, dass er ein ausgelutschtes Thema aufgreife, wohl aber dafür, diesem „Genre“ des Mutter-Rückkehr-Dramas nichts Neues hinzuzufügen und sich bei der diffusen Verurteilung seiner Figuren zu wenig um eine Alternative oder doch zumindest einen positiven Ausblick zu bemühen.

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Erschwerend kommt die Stimmung der Inszenierung hinzu: Der Spannungsbogen ist flach und nur der punktuelle Einsatz von Musik sowie eine surreale Erinnerungspassage bieten kurze Zäsuren im sonst recht gleichförmigen Verlauf der Dinge. Keine Dramen, keine eskalierenden Auseinandersetzungen, aber auch keine Euphorie, kein Freudentaumel, kein sprühendes Glück. Das 4:3 Format wirkt unmotiviert. Zu selten nutzt Laura Schroeder den visuellen Teil des audiovisuellen Mediums Films, um ihrer Geschichte eine zusätzliche Ebene zu verleihen. Ihre Figuren wiederum sind schwer zugänglich und im Falle der beiden erwachsenen Frauen* zudem latent unsympathisch. Kurzum: Barrage ist weder ein besonders ergreifendes, noch erhellendes, noch emanzipatorisch wertvolles Filmerlebnis.

Sophie Charlotte Rieger
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