Berlinale 2016: Ani ve snu! (In Your Dreams!)

Mutige Mädchen in Jungsklamotte, auch Tomboys genannt, sind ja inzwischen auf großen und kleinen Leinwänden durchaus beliebt. Aber nicht alle kommen dabei so herrlich lebensbejahend, queer und freiheitsliebend daher wie unsere Heidi. Ani ve snu! (In Your Dreams!), zu sehen in der Sektion Generation 14+ bei der Berlinale 2016, ist zum Beispiel eines der weniger erfreulichen Beispiele.

Laura (Barbora Štikarová) ist ein Tomboy-Teenager, der sich in einer männlichen Sphäre beweisen will: Sie möchte unbedingt in eine ganz bestimmte Parkour-Crew aufgenommen werden und mit den anderen Mitgliedern über die Dächer Prags springen. Aber Laura steht sich selbst im Weg: Plötzlich auftretende Angstattacken, verbunden mit wirren Tagträumen, verunsichern die junge Frau*. Die pubertäre Identitätskrise wirkt sich aber nicht nur auf ihr sportliches Selbstbewusstsein aus, sondern hemmt sie auch im Kontakt mit ihrem Schwarm Luky (Toman Rychtera). Doch dieser hat eine Freundin und die Aufnahmeprüfung für die Crew hat Laura auch vergeigt. Wie soll es jetzt weitergehen?

© Nikolas Tušl

© Nikolas Tušl

Laura, mit gleichförmiger Mine und diffusen Panikattacken, erinnerte mich sehr an eine andere Heranwachsende aus dem letzten Berlinale-Jahr, nämlich die Hauptfigur aus SangaïléAni ve snu! (In Your Dreams!) haftet dieselbe phlegmatisch-melancholische Stimmung an, wie dem klassischen französischen Coming of Age Drama. Mit nur einem einzigen Gesichtsausdruck bleibt Laura eine vollkommen verschlossene Figur, deren Mangel an Gefühlsregungen kaum Sympathie wecken kann. Ihre Ambitionen, eine männliche* Sphäre zu erobern, werden – wie schon bei Sangaïlé – von psychischen Problemen überschattet, die der Figur ihr Potential rauben.

Wo Sangaïlé noch eine Geschichte von Queerness zu erzählen wusste, tappst Ani ve snu! (In Your Dreams!) in so manche Geschlechterklischee-Falle. Laura ist der einzige Tomboy weit und breit. Sowohl ihre beste Freundin als auch Lukys Herzensdame* stellen „echte Mädchen*“ dar, mit aufgeräumten, in rosa gehaltenen Mädchen*zimmern und entsprechendem Outfit und Styling. Ja sogar die Paris-Hilton-Gedenk-Fußhupe darf hier nicht fehlen. Luky wiederum ist der klassische Schönling und beeindruckt ausschließlich durch seinen muskulösen Oberkörper und mutige Parkour-Stunts. Lauras Verehrer wiederum versucht durch klassisches Männer*gehabe, nämlich dem Verteidigen der vermeintlich hilflosen Frau*, Eindruck zu schinden und der Nachbarsjunge gewinnt an Attraktivität, weil er von diesem Duell ein blaues Auge davon trägt.

In Ani ve snu! (In Your Dreams!) geht es nicht darum, Unterschiede zwischen Mädchen* und Jungen* aufzuheben, sondern diese zu unterstreichen, dabei die Mädchen* jedoch aufzuwerten. Ein solcher Weg kann nie ganz zielführend sein, weil unsere Geschlechterkategorien zu stark wertend charakterisiert sind. Nicht umsonst ist „Du Mädchen!“ unter Jungs* eine Beschimpfung. Laura hat von Beginn an eine Sonderrolle, tritt nicht selbstverständlich mit den anderen Konkurrenten um die Crew-Mitgliedschaft an, sondern wird gutmütig dazu gebeten. Das wichtigste Argument dafür, sie tatsächlich aufzunehmen, sind nicht ihre Fähigkeiten, sondern dass sie als Mädchen* das Video der Parkour-Gruppe dekorativ aufwerten würde. Beim finalen Lauf sind die wirklich beeindruckenden Stunts denn auch den Jungs vorbehalten.

Immerhin, und dies ist ein Segen, entwickelt sich Ani ve snu! (In Your Dreams!) nicht zu einer Liebesgeschichte, sondern bleibt ein Adoleszenzdrama. Für einen Großteil der Handlung überlagern die Träume von Luky die sportlichen Ambitionen der Hauptfigur und die ersehnte Aufnahme in die Parkour-Crew rückt stark in den Hintergrund. Am Ende jedoch drehen sich die Prioritäten wieder um: Sobald sich Laura weniger auf Luky und mehr auf sich und ihre Träume fokussiert, rücken diese plötzlich wieder in greifbare Nähe.

© Nikolas Tušl

© Nikolas Tušl

Das Setting der Geschichte in der Parkour-Szene verspricht Tempo und Schauwerte. Stattdessen liefert Ani ve snu! (In Your Dreams!) aber Melancholie und märchenhafte Traumsequenzen, deren metaphorische Bedeutung ebenso diffus bleibt wie ihr sukzessiver Übergang in die Realität. Erst ganz am Ende kommt dann endlich der erwünschte Schwung in die Geschichte, von Lebensfreude und Optimismus fehlt jedoch auch hier jede Spur.

Letztendlich kann Ani ve snu! (In Your Dreams!) damit keine Einladung zu Queerness aussprechen, zum selbstbewussten Verlassen klassischer Rollenmodelle und Sprengen von heteronormen Grenzen. Ein Tomboy zu sein ist halt scheiße, so scheint der Film zu sagen, aber wenn Du Glück hast, darfst Du wenigstens einmal bei den großen Jungs* mitmachen. Emanzipatorisch wertvoll ist definitiv etwas anderes.

Sophie Charlotte Rieger
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