Achtung Berlin 2017: Beat Beat Heart

Jede_r kennt das, diese lähmende Depression, die uns nach einer Trennung ereilt. Der Herzmensch ist fort, die Welt scheint sinnlos und leer, in einem erdrückenden Stillstand begriffen. Einzig die Vergangenheit bietet Trost, bittersüße Erinnerungen, die – das wissen wir ohnehin – der Realität nicht gerecht werden. Knutschende Pärchen empfinden wir als persönlichen Affront, Liebesfilmen gehen wir aus dem Weg. Kurzum: Wir baden in unserem Leid.

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So ergeht es auch der Heldin von Luise Brinkmanns Abschlussfilm Beat Beat Heart. Kerstin (Lana Cooper) lebt in einem brandenburgischen Kaff, wo sie sich eigentlich mit ihrem nun Ex-Freund Thomas (Till Wonka) einen Lebenstraum erfüllen wollte. Seit Thomas’ Verschwinden jedoch ist Kerstin jegliche Perspektive und Lebenslust abhanden gekommen. Doch dann bringt ein Besuch ihrer Mutter Charlotte (Saskia Vester), die – wie sich herausstellt – soeben ihren Lebensgefährten verlassen hat, eine zunächst unliebsame, schließlich aber heilsame Wendung für Kerstins Leben, die nun gezwungen ist, sich nicht mehr nur mit ihrem eigenen Leid, sondern auch mit dem anderer Menschen zu befassen.

30 Seiten Skript, vier Wochen Drehzeit – Beat Beat Heart ist nicht nur ein klassischer, low-budget produzierter Erstlingsfilm, sondern auch Teil des neuen deutschen Impro-Kinos. Die Nähe Brinkmanns zu den Lass-Brüdern ist überdeutlich. Da erscheint ein expliziter Dank an Tom Lass im Abspann und die Besetzung von Lana Cooper in der Hauptrolle schlägt eine Brücke zu Jakob Lass und seinem Film Love Steaks. Doch wo ihre Vorbilder mit Hilfe der Improvisation lebensnahe und glaubwürdige Charaktere und Geschichte entwickeln, scheitert Luise Brinkmann auf höchst bedauerliche Weise an eben jenem Unterfangen.

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Weder die Figuren noch die Handlung von Beat Beat Heart können überzeugen. Insbesondere die Nebenfiguren bleiben bloße Abziehbilder, die – wie im Falle von Kerstins Mitbewohnerin Maya (Christin Nichols) – auch gerne mal vollkommen von der Bildfläche verschwinden, sobald sie ihre Funktion für die Geschichte erfüllt haben. Charlotte, die Ü50erin in den Startlöchern zu einem neuen, (sexuell) selbstbestimmten Leben, erinnert verdächtig an Nico Sommers Silvi – auch dies ein äußerst gelungener Impro-Film zu dem Beat Beat Heart nicht aufschließen kann. Die oben erwähnte Maya ist ein wandelndes Abziehbild der promiskuitiven Rothaarigen: jeden Tag ein anderer Kerl, bindungsgestört und ohne nennenswerte Schamgrenzen. Auch äußerlich unterscheidet sie sich auf stereotype Weise von der Heldin der Geschichte: Wo Kerstin schlank, zerbrechlich und jungenhaft wirkt, verkörpert Maya mit ihrer Durchschnittsfigur wohl das, was unsere Gesellschaft gerne als „weibliche Rundung“ bezeichnet. Und dann wäre da noch die Zickennachbarin Franzi (Caroline Erikson), die nach 18 Uhr keine Kohlenhydrate mehr zu sich nimmt (das soll sie wohl unsympathisch machen) und deren Konflikte mit dem liebevollen Partner Paul (Aleksandar Radenkovic) so rätselhaft bleiben, dass ihr nur noch die Rolle der eindimensionalen Hysterikerin zukommen kann. Auch auf der Seite der Männer sieht es nicht viel besser aus: Der über die Maßen sensible Paul ist ebenso archetypisch wie seine Freundin.

Inmitten dieser unterkomplexen Typen ist Kerstin die vermutlich glaubwürdigste Figur, ein Part den Luise Brinkmann, so erzählte sie nach der Berlin-Premiere, ihrer Hauptdarstellerin Lana Cooper auf den Leib geschrieben hat. In einer der glorifizierten Erinnerungs- bzw. Traumsequenzen wirft Thomas Kerstin vor, wie ein Satellit um ihn zu kreisen und ihn damit zu erdrücken. Innerhalb des Film-Ensembles aber ist Kerstin das komplexe Zentrum, das Subjekt, um das alle anderen Figuren-Satelliten kreisen, deren Funktion alleinig jene ist, die Geschichte der Heldin zu erzählen. Diese Aufstellung krankt jedoch an den Schwächen der Hauptfigur: Zum Einen wird Kerstins innerer Ablöseprozess von Ex-Freund Thomas nicht erfahrbar, zum Anderen scheitert die Figur aus feministischer Sicht vollständig, weil ihre „Selbstfindung“ sie nur an die Hand des nächsten Mannes führt. Auf diese Weise aber kann Kerstin nicht ausreichend Gravitation für die um sie kreisenden Figuren bieten. Die Folge: Der Film entbehrt ein Zentrum und zerfällt in inkohärente Einzelteile.

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Beat Beat Heart zeigt eindrücklich die Schwächen des Konzepts Impro-Film. Story- und Charakterentwicklung sind hier eben nicht auf dieselbe Art und Weise kontrollierbar wie in einem ausführlichen Skript. Was sonst Drehbuchautor_in und Regisseur_in leisten, wenn sie ihren Figuren eine Geschichte, einen Hintergrund geben, müssen hier die Schauspieler_innen übernehmen. Es ist ihre Aufgabe aus den bloßen Typen, die ein 30 seitiges Skript erschaffen kann, echte Menschen zu entwickeln. Dass dies in Beat Beat Heart nur unzureichend gelingt, ist die größte Schwachstelle des Films.

Luise Brinkmann hat viele gute Ideen, fängt beispielsweise mit verstörender Treffsicherheit das Gefühl des Verlassenwerdens ein und beweist mit einer surrealen Inszenierung des „Finder“-Datings Sinn für Humor, scheitert jedoch daran, diese Elemente zu einem Filmkonzept zu verbinden, dass über die Spielfilmlänge hinweg fesseln und überzeugen kann.

Kinostart: 27. April 2017

Sophie Charlotte Rieger
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