A Beautiful Day

Nach dem ebenso beklemmenden wie genialen We Need To Talk About Kevin kommt nun endlich der neue Film von Lynne Ramsay ins Kino: A Beautiful Day, der 2017 in Cannes Preise bereits für das Drehbuch (Ramsay) und den Hauptdarsteller Joaquin Phoenix erhielt. Einmal mehr taucht die schottische Regisseurin in die düsteren Abgründe der Psyche ab, nun in die eines traumatisierten Auftragskillers, der sich auf die Rettung von Entführten spezialisiert hat.

© Constantin

Joe (Joaquin Phoenix) erinnert mit seiner ruhig-melancholischen Ausstrahlung und den damit kontrastierenden brutalen Gewaltausbrüchen ein wenig an Nicolas Winding Refns „Driver“. In A Beautiful Day wird jedoch deutlich weniger Auto gefahren als in Drive und auch die Handlung nimmt ganz andere Bahnen. Bei einem seiner Aufträge kommt Joe einer Verschwörung auf die Spur und soll vom Jäger nun zum Gejagten werden. Das jedoch lässt der schweigsame Held nicht zu und begibt sich stattdessen auf einen blutigen Rachefeldzug.

Fragmentarisch ist der Begriff, der A Beautiful Day am besten charakterisiert. Eine chronologisch erzählte Handlung wird immer wieder durch nur sekundenlange Flashbacks unterbrochen, die Joes vergangene Gewalterfahrungen andeuten. In diesen Rückblenden wie auch in der Gegenwartshandlung verzichtet Lynne Ramsay konsequent auf eine voyeuristische Darstellung. Die Kamera ist zu nah an Zweikämpfen, als dass sich die Zuschauer_innen daran ergötzen könnten. Bildausschnitte enthalten uns den Blick auf einen Teil der Ereignisse vor. Mordszenen finden zuweilen keine explizite Darstellung, sondern müssen durch das Publikum anhand der Tatorte rekonstruiert werden. An einer Stelle zerstückelt Ramsay einen brutalen Gewaltrausch, indem sie ihn ausschließlich über die Videoaufzeichnungen einer Überwachungskamera erzählt, deren begrenzte Perspektive die Ereignisse eben nur fragmentarisch einfangen und abbilden kann. So entsteht Distanz zwischen Kinopublikum und Leinwandschauspiel, ein Verfremdungseffekt, der auch dazu beiträgt, Joe weniger als eiskalten Mörder denn als empfindsamen Helden zu inszenieren. Würden wir hautnah miterleben, wie er Bösewichte mit dem Hammer, seiner Waffe der Wahl, brutal niederschlägt, gestaltete sich die Sympathie mit diese Figur wohl deutlich schwerer.

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Auch die Perspektiven der Filmkamera sind oft insofern fragmentarisch, als dass Kameramann Thomas Townend mit dem Cinemascope-Format Menschen zuweilen nur teilweise abbildet. Beine, Hände, Gesichter – oft hat die Kamera nicht ausreichend Distanz zu den Figuren, um sie in Gänze einfangen zu können. Auch durch diese Zerstückelung entsteht Distanz. Lynne Ramsay kalkuliert sehr genau, wie nah sie ihren Helden dem Publikum bringen kann, als wolle sie uns vor ihm beschützen.

Auffällig gestaltet sich auch die Arbeit mit Sound und Musik. Der von Jonny Greenwood komponierte Score wird großzügig zur Spannungserzeugung genutzt. Aber es sind auch und vor allem Umweltgeräusche in dominanter Lautstärke, die den Ereignissen ein auditives Setting verleihen. Durchnässte, quietschende Schuhe, Ausschnitte einer TV-Reportage im Hintergrund oder Gesprächsfetzen im Café – die Umgebung ist für uns als Zuschauer_innen oft vor allem auf der Geräuschebene zu erschließen. Dieser auditive Fokus spiegelt die Isolation der Hauptfigur, die – weitgehend ohne zwischenmenschliche Beziehungen und stets im Kampf mit traumatischen Erinnerungen – die Welt um sich herum als surreal erlebt.

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Vielleicht liegt es an der gewollten Distanz zur Hauptfigur, dass A Beautiful Day nicht denselben grausigen Sog entwickelt wie We Need to Talk About Kevin. Dennoch gelingt es Lynne Ramsay einmal mehr, ihre Geschichte vor allem über die Stimmung zu erzählen, Gefühle und Eindrücke statt Informationen zu vermitteln. Somit wäre der Film meines Erachtens eher ein Kandidat für Regie-Preise. Ramsay zieht ihre Zuschauer_innen in einen ganz besonderen Bann, der ohne greifbare Nähe zur Hauptfigur und komplexe Spannungsdramaturgie funktioniert. Wieder hinterlässt sie uns ratlos darüber, was zum Teufel wir da eigentlich gerade gesehen haben. Und schafft damit wieder großes Kino.

Kinostart: 26. April 2018

Sophie Charlotte Rieger
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